Rumänien

„Wir bilden eine Zivilgesellschaft“

n-ost: Frau Calistru, nach dem Brand im Bukarester Club Colectiv, bei dem zahlreiche Menschen gestorben sind, ist es überall im Land zu Demonstrationen gekommen. Woher kommt die plötzliche Aufregung über Korruption? War das Problem nicht längst bekannt?

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Elena Calistru: Es gab bereits vor drei Jahren Proteste, wenn auch kleiner und vielleicht weniger sichtbar. Auch 2013 sind in Bukarest viele Menschen auf die Straße gegangen und haben einen unabhängigen Kandidaten unterstützt. Es gab landesweite Proteste gegen ein Goldminenprojekt in Transsilvanien und letztes Jahr protestierten wir dagegen, wie schwer es Rumänen im Ausland gemacht wurde, wählen zu gehen. Die aktuellen Proteste basieren wie auch die zuvor auf einer generellen Unzufriedenheit mit der Regierung. Sie sind das Resultat einer Entwicklung der letzen Jahre. Die Leute haben angefangen, sich zu organisieren und mehr darauf zu achten, was im öffentlichen Raum passiert.

Doch warum gibt es jetzt diesen Fokus auf Korruption und diese Wut?

Calistru: Der Ausdruck „Korruption tötet“ ist zur Tatsache geworden. Jahrelang haben viele von uns gesagt: Gut, die Regierung funktioniert nicht, es gibt Korruption, aber ich kann meine Karriere weiterführen, ich kann weiter mit meinen Freunden ausgehen. Das, was im öffentlichen Raum passiert, betrifft mich nicht. Es hat sich jetzt aber gezeigt, dass das, was auf Regierungsebene geschieht, eben doch Einfluss auf unseren Alltag hat. Jeder von uns hätte in diesem Club sein können. Der Unfall hat vielen Leuten Angst gemacht. Das ist auch ein Grund, warum die Reaktionen so stark sind.

Auch im Alltag wird viel Schmiergeld gezahlt – an Lehrer, Schaffner oder Ärzte. Wie sollte man mit dieser Art der Korruption umgehen?

Calistru: Wie können Korruption sichtbar machen und darauf achten, wer wann von uns Schmiergeld erwartet und wann nicht. Diese alltägliche Korruption ist Teil des Problems. Sie ist aber auch Teil eines kulturellen Musters, das man nicht nur in Rumänien beobachten kann, sondern in allen osteuropäischen Ländern. Im Kommunismus hat man bestimmte Leistungen nur dann bekommen, wenn man zum Beispiel Parteimitglieder bestochen hat. Außerdem waren die Löhne so schlecht, dass man sich etwas dazuverdienen musste. Und nicht zuletzt hat man sich über jede Gelegenheit gefreut, den Staat, der von vielen als Feind gesehen wurde, zu unterwandern.

Viele Rumänen trauen den etablierten Parteien und Politikern nicht, die Wahlbeteiligung ist seit Jahren gering. Wie muss eine Regierung aussehen, der die Bürger wieder vertrauen?

Calistru: Die Politiker dürfen natürlich nicht korrupt sein. Es ist zum Glück seit einiger Zeit leichter, neue Parteien zu gründen. Denn die etablierten Parteien sind mitverantwortlich für das Korruptionsproblem. Es ist schwer vorstellbar, dass die Leute diesen Parteien vertrauen, selbst wenn sie neue Gesichter an die Spitze stellen oder andere Reformen versuchen.

Ein Politiker, der ein gewisses Vertrauen in der Bevölkerung genießt, ist Präsident Klaus Iohannis. Er hat sich mit einigen inoffiziellen Repräsentanten der Proteste getroffen, um das weitere Vorgehen der Regierung zu besprechen – unter anderem mit Ihnen. Haben die Gespräche irgendetwas bewirkt?

Calistru: Ich glaube, das wichtigste an diesem Treffen war die Botschaft, dass die Zivilgesellschaft in Regierungsfragen als Partnerin gesehen wird. Ich halte das für einen guten Weg, auch wenn die Umsetzung in diesem Fall ein bisschen chaotisch war. Es blieben nur sechs Stunden Zeit, Kandidaten für das Treffen vorzuschlagen. Wir bekamen gerade mal zwei Stunden vor dem Treffen bescheid. Und natürlich stand auch die Frage im Raum, wer überhaupt die Interessen aller Demonstranten vertreten kann. Uns war sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir nicht für alle Bürger sprechen können und wollen.

Wie geht es jetzt weiter in Rumänien?

Calistru: Es gibt jetzt mehr Diskussionen über Politik und darüber, wie eine neue Regierung aussehen soll. Es wird sicher neue Initiativen und Parteien geben, die sich an den Bedürfnissen orientieren, die jetzt geäußert werden. Ich glaube nicht an einen großen Wandel über Nacht. Aber ich bin optimistisch. Wir fangen an, eine richtige Zivilgesellschaft zu bilden. Und das ist noch viel wichtiger als neue oder reformierte Parteien: eine starke Zivilgesellschaft, die der Regierung als Kontrollinstanz dient.

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Zur Person:

Elena Calistru hat zusammen mit anderen jungen Aktivisten die NGO „Funky Citizens“ gegründet, die sich in verschiedenen Projekten für mehr Transparenz in der Politik einsetzt. Mit der Seite BaniPierduti.ro (verlorenes Geld) versucht sie zum Beipiel, öffentliche Ausgaben in verschiedenen Bereichen leichter nachvollziehbar zu machen. Sie ist eine von 20 inoffiziellen Vertretern der rumänischen Antikorruptionsproteste, mit denen sich Präsident Klaus Iohannis getroffen hat, um mit ihnen das weitere Vorgehen der Regierung zu diskutieren.


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