Keine richtigen Polen, keine richtigen Deutschen
Der Grenzvertrag war der Durchbruch: Nach langen Verhandlungen fanden die BRD und das nicht mehr kommunistische Polen im Spätsommer 1990 eine Einigung. Deutschland erkannte nach der Wiedervereinigung die lange umstrittene Oder-Neiße-Grenze endgültig an. Zwar hatte die DDR bereits im Jahr 1950 seine Ost-Grenze zu Polen anerkannt. Faktisch tat das auch die BRD unter Bundeskanzler Willy Brandt im Warschauer Vertrag von 1970. Doch erst im Grenzvertrag, am 14. November 1990 in Warschau von den Außenministern beider Länder signiert, wurde die Oder-Neiße-Grenze völkerrechtlich als „unverletzlich“ und endgültig erklärt.
Der Vertrag war zugleich Bedingung für die weitere Annäherung. Schon acht Monate später schlossen beide Länder einen Freundschaftsvertrag, der die Aussöhnung vorbereitete, die gemeinsamen Beziehungen vertiefte – und auch den Status der deutschen Minderheit in Polen regelte. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg waren nicht alle Deutschen aus den Polen zugeschlagenen Gebieten geflüchtet oder vertrieben worden. Insbesondere in der Region Oberschlesien blieben viele, auch wenn in mehreren Wellen viele als Spätaussiedler in die BRD zogen – alleine in den Jahren 1985 bis 1990 etwa 650.000 Menschen.
Alles Deutsche war verbannt
In Polen durften sich die Deutschen bis 1989 nicht als Minderheit organisieren. Alles Deutsche, auch die Sprache, war aus dem öffentlichen Raum verbannt. Doch heute ist fast alles anders. Ihre rechtliche Situation in Polen bewerten Vertreter der deutschen Minderheit positiv. Rund 150.000 Menschen gehören heute noch dazu. „Es gibt in Polen eines der besten Gesetze für Minoritäten in Europa, es garantiert uns alle Rechte“, sagt Norbert Rasch. Der 44-Jährige war mehrere Jahre Vorsitzender der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD), wo das Gros der Deutschen lebt.
Das Gesetz regelt unter anderem die Verwendung der deutschen Sprache in Gemeindeämtern mit starker Minderheit und gewährt auch die privilegierte Vertretung im polnischen Parlament (Sejm). Bei den letzten Wahlen im Oktober hat der Deutsche Ryszard Galla wieder einen Sitz erobert – als einziger Vertreter einer Minderheit. In der Wojewodschaft Oppeln sind die Deutschen sogar Koalitionär am Regierungstisch. Hinzu kommen eigene Medien, finanzielle Zuschüsse aus deutschen und polnischen Ministerien und rund 330 deutsche Freundschaftskreise (DFK) mit über 50.000 Mitgliedern.
Doch vor allem die deutsche Jugend in Polen, sagt Aktivist Rasch, gehe heute mit ihren nationalen Wurzeln anders um als die Älteren. „Wir haben früher eine ideologische Motivation gehabt, es war auch eine Reaktion auf die frühere Diskriminierung.“ Heute seien die Grenzen offen, und die Jungen sähen ihr Deutschsein pragmatisch – Fahrten ins Ausland, bessere Berufschancen. Diese Einschätzung bestätigt auch Rene Wodarz. Der 18-jährige Schüler ist beim Bund der Jugend der Deutschen Minderheit (BJDM) aktiv. „Wir lernen hier, an konkreten Projekten zu arbeiten und können das später beruflich nutzen.“
Minderheit quasi ausgestorben
Der BJDM hat dennoch Schwierigkeiten, Jugendliche dazu zu bringen, ihre deutschen Wurzeln zu pflegen. „Bei mir im Ort ist die Minderheit quasi ausgestorben“, sagt Manuela Leibig vom BJDM. Womöglich liege eine der Ursachen in der Elterngeneration, so die 24-Jährige. Einer Generation, die diskriminiert wurde und ihre deutschen Wurzeln weitgehend verwarf. Die Jüngeren könnten kaum gewonnen werden. Auch die 17-jährige Melania Smykala, BJDM-Aktive, berichtet von solchen Barrieren. Sich selbst sieht die Schülerin zu gleichen Teilen als Polin und als Deutsche. „Leider akzeptieren viele Polen noch nicht, dass man beides sein kann“, sagt sie.
Womöglich ist auch dies einer der Gründe, warum gerade in der Region Oppeln die Zahl der Menschen, die sich als Deutsche bezeichnen, laut Volkszählungen zwischen 2002 und 2011 deutlich gesunken ist – zugunsten der schlesischen Nationalität, die der Staat nicht als nationale Minderheit anerkennt. Auch Rene Wodarz sagt von sich: „Ich bin kein richtiger Pole und auch kein richtiger Deutscher. Ich bin ein Schlesier, also etwas in der Mitte.“ Er kenne und schätze beide Sprachen und Kulturen. „Ich muss mich nicht auf ein Land beschränken. Und das Schlesische“, sagt er und lacht, „das vereint das Beste von beiden“.