Slowenien

Warten auf die Weiterfahrt

Dobova am Südostrand Sloweniens ist zu normalen Zeiten ein verschlafenes Nest. Der Bahnhof scheint für das 700-Einwohner-Dorf überdimensioniert, aber Dobova ist der letzte Bahnhof vor Kroatien und liegt damit an der Schengen-Außengrenze.

Jetzt stehen überall Waggons auf den Rangiergleisen. „Worauf warten wir? Wann geht es weiter?” fragen die Menschen, die durch offene Abteilfenster eines am Bahnsteig wartenden Zuges schauen und Proviantpakete verzehren, die Caritas-Helfer verteilt haben. Woher kommen sie, wohin wollen sie? „Syrien – Deutschland”, lauten die Antworten meist, oder „Pakistan – Deutschland”.


Ohne Fußmarsch über die Grenze

„Afghanistan”, sagt einer von ihnen, er komme aus der viertgrößten Stadt des Landes Masar-e Scharif. Er sei 19 und vor den Überfällen der Taliban geflohen. Der einzige in seiner Familie, der noch lebt, sei ein Bruder in den Niederlanden. Ob er sich vorstellen kann, nach Afghanistan zurück zu gehen? „Nein, bestimmt nicht. Vielleicht in 50 Jahren.”

Der Zug ist überfüllt. In den Abteilen sitzen sie, bis zu acht Personen, Kinder hocken oder liegen auf dem Boden. Sie alle haben die riskante Überfahrt über die Ägäis hinter sich und die Reise von Griechenland quer über den Balkan. Vor einigen Stunden sind sie mit dem Zug aus Kroatien angekommen.

Täglich schickt das Nachbarland fünf bis sieben volle Züge, die in Dobova auf slowenisches Gebiet fahren dürfen, um den Menschen den Fußmarsch über die Grenze zu ersparen und sie so besser unter Kontrolle zu haben. Im Schnitt kommt demnach alle drei bis vier Stunden ein Zug mit jeweils rund tausend Flüchtlingen an. Wer keine Papiere hat, wird im Eiltempo direkt auf dem Bahnsteig registriert, fotografiert und erhält ein Blatt Papier mit Schwarz-Weiß-Foto, Namen und langem slowenischen Text.


Entspannte Stimmung

Dobova ist nur ein kurzer Halt, meist nur für Stunden. Der weitere Transport von hier an die Grenze zu Österreich erfolgt per Zug oder per Bus. Am Dorfrand, hinter den Bahngleisen, stehen große weiße Zelte, solche, die man sonst für Volksfeste nutzt. Es ist eine Art Auffanglager. Absperrgitter stehen herum. Wenig später werden hier rund 500 Flüchtlinge geduldig auf ihre Weiterreise warten.

Im Zehn-Minutentakt kommen immer neue Busse vorgefahren. Slowenische Bereitschaftspolizisten stehen in Gruppen herum, unterstützt von einer Einheit des Militärs. Ein Polizist gibt Kommandos: „Los, die nächsten!” Ein Schützenpanzer soll Staatsmacht demonstrieren, falls Autorität gefragt ist. Aber dafür besteht derzeit kein Grund. Die Stimmung ist friedlich und fast entspannt.

Emsig laufen Frauen in roten Warnwesten der slowenischen Caritas herum, unter ihnen auch Aktivisten und Freiwillige aus anderen Ländern. Sie verteilen Essenstüten und Wasserflaschen, organisieren, geben Kommandos. Irgendwo wird ein Arzt gerufen, der auch sofort kommt, ein Kind sei krank. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Freiwilligen ist erstaunlich reibungslos. Jede Seite weiß, ohne die andere wäre hier Chaos.


Keine schlechten Nachrichten

Insgesamt sind seit Beginn der Zählung am 16. Oktober über 135.000 Flüchtlinge über Slowenien an die österreichische Grenze gereist. Dort, in Spielfeld stockt es. Tausende Menschen müssen Stunden auf ihre Einreise nach Österreich warten, oft über Nacht.

Die slowenischen Behörden bemühen sich spürbar, schlechte Nachrichten wie in der Vergangenheit zu vermeiden. Bei einem Aktivisten einmal der absurde Vergleich mit einem Konzentrationslager. Ziel ist eine humane aber effiziente und schnelle Abfertigung, eine reibungslose Weiterreise. Das kleine Land sieht keine andere Möglichkeit, mit dem historischen Flüchtlingsstrom umzugehen, zumal keiner von den Tausenden Syrern, Irakern oder Afghanen hier bleiben will.

„Alle wollen nach Deutschland”, sagt ein Helfer achselzuckend. Was wäre die Alternative? Die Grenze nach Kroatien ist weitgehend offen. Jahrzehnte lang gab es hier gar keine Staatsgrenze. Erst seit der Unabhängigkeit der beiden Länder 1991 stehen an den Landstraßen kleine Grenzstationen, die eher an Bushaltestellen erinnern.

Noch aus jugoslawischen Zeiten haben die Menschen auf beiden Seiten der Grenze oft familiäre Beziehungen und fahren zum Einkaufen auf die andere Seite. Überall erstrecken sich offene Felder und Wälder. Ein Zaun, wie ihn Ungarn vor Wochen gezogen hat, ist hier nicht vorstellbar. Diese Grenze, obwohl Schengen-Außengrenze, lässt sich nicht absperren


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