Slowenien

Balkanroute: Unter freiem Himmel

Zweitausend Menschen warten im Flüchtlingslager Brezice unter freiem Himmel in der Kälte auf ihre Weiterreise. Ein Polizist versucht, einer siebenköpfigen Familie zu erklären, wohin es geht – doch die Menschen verstehen kein Wort. Genauso wenig wie sie verstehen, warum sie sich ständig registrieren lassen müssen. Und warum sie immer wieder in ein neues Justizsystem hineingeraten, hier auf dem Balkan, wo die nächste Staatsgrenze stets nur wenige Kilometer entfernt ist. Alles, was die Flüchtlinge an der Grenze zu Kroatien wollen, ist schnellstmöglich die 100 Kilometer durch Slowenien zurückzulegen, um nach Österreich zu gelangen.

Der Fahrer Uros Urek wartet auf die syrische Familie und andere Flüchtlinge – bis sein Bus voll ist, damit er losfahren kann. Urek selbst wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern an der Grenze: „Ich kann die Flüchtlinge von meinem Wohnzimmer aus sehen. Da sind in den vergangenen Tagen bestimmt 1.000 bis 1.500 Menschen vorbeigelaufen“, sagt er. „Darunter auch viele Junge und Alte, denen man ansieht, dass sie kaum noch laufen können.“ Viele Flüchtlinge haben keine festen Schuhe und keine Winterkleidung. Urek hat Mitleid mit den Menschen, ist aber auch froh, dass sie nicht lange bleiben: „Ich mag ihre Kultur einfach nicht“, sagt er.


Keine Illusionen

Die slowenischen Behörden sind sichtlich überfordert. Militär und Polizei aus dem ganzen Land wurden an die Grenzen verlegt. Ein Polizist aus Ljubljana scherzt: „Wenn man irgendwo anders eine Bank ausrauben will, dann wäre jetzt der richtige Moment dafür.“ Ein anderer Polizist berichtet in einem verzweifelten Tonfall: „Es kommen jeden Tag Tausende. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen.“

Weil die Polizei vor Ort völlig überfordert ist, werden pensionierte Beamte in den Dienst zurückgeholt und das slowenische Militär zur Hilfe gerufen. Die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien ist 670 Kilometer lang. Niemand macht sich hier Illusionen, dass Slowenien es aus eigener Kraft schaffen kann, sie komplett zu kontrollieren.

Seit Ungarn seine Grenze zu Kroatien am 16. Oktober geschlossen hat, liegt das kleine Slowenien mitten auf der Balkanroute. Die ungarische Regierung von Viktor Orbán hat ihr Ziel erreicht. Es kommen kaum noch Flüchtlinge über Kroatien und Serbien nach Ungarn. Auch die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar Kitarovic denkt laut über einen Grenzzaun nach. Dazu müsste ihre nationalkonservative Partei HDZ die Parlamentswahlen in zwei Wochen gewinnen. Die amtierende sozialdemokratische Regierung spricht sich klar gegen Grenzzäune aus.


Viele schlafen im Freien

In der Nacht auf Samstag kommen 1.370 Flüchtlinge in einem Zug an. Im slowenischen Dobova unweit von Brezice wird eine alte Turnhalle kurzerhand zum Erstaufnahmezentrum umgebaut. Eine Mitarbeiterin vom Roten Kreuz kommt sichtlich schockiert aus der Turnhalle und sagt: „Wenn ihr die Hölle sehen wollt: Dort drin ist sie.“ Der Boden ist an vielen Stellen nass, die Halle ist voller Menschen. Doch wenigstens ist es drinnen wärmer als draußen. Weil es keinen Platz mehr gibt, müssen viele Flüchtlinge im Freien schlafen.

Amnesty International kritisiert den Umstand, dass die Flüchtlinge im Freien auf dem Boden übernachten müssen, wo doch etliche Unterkünfte im Landesinneren frei stehen. „Für solches Verhalten Sloweniens gibt es keine Entschuldigung“, so die Menschenrechtsorganisation.

Draußen beginnen Helfer damit, Decken zu verteilen. Damit nicht immer die jungen Männer den Vorzug bekommen, schmeißen die Helfer die zusammengeknoteten Decken wie einen Ball auf das Feld, damit auch Alte, Frauen und Kinder zum Zuge kommen. Die Polizei verbietet kurzzeitig das Verteilen der Decken, damit es nicht zu Kämpfen kommt. Nach etwa einer Stunde sind dann alle Menschen mit zwei Decken versorgt. Eine zum Drauflegen, die andere zum Zudecken. Das Thermometer sinkt auf bis zu vier Grad Celsius.


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