Türkei

Flüchtlinge in Istanbul

Wenn man vom Istanbuler Stadtteil Aksaray aus Richtung historische Stadtmauern abbiegt, findet man sich in einer fremden Welt wieder: Arabische Schriftzüge zieren die Läden. Das ist auch die Sprache, die in den Restaurants und Cafés gesprochen wird. „Syrien, alles aus Syrien“, erklärt Cihad Alahdab und zeigt auf die Waren in seinem kleinen Laden: Arabisch beschriftete Päckchen mit Tee, Kaffee, Reis und getrockneten Hülsenfrüchten und bunte Gewürze in großen Glasbehältern. In einem Regal stapeln sich handgeschöpfte, grobe Olivenölseifen in dem ansonsten eher tristen Geschäft im Tiefparterre.

Alahdab, der Besitzer des kleinen Ladens, spricht eine Mischung aus Englisch und Türkisch, meist aber Arabisch oder in Gesten. Seinen kleinen Laden hat er vor zwei Jahren eröffnet, als er mit seiner Familie aus Syrien nach Istanbul kam. „Hier geht es uns gut. Ich habe mein Geschäft, wir möchten für immer bleiben“, erklärt Alahdab. Sein jüngstes Kind ist hier zur Welt gekommen. Die Großen besuchen eine Schule, auf der sie Türkisch und Arabisch lernen.


Einen türkischen Pass bekommen nur wenige

Alahdab ist einer von rund 300.000 Syrern, die derzeit in der 14-Millionen-Metropole Istanbul leben. „In fünf Jahren bekomme ich hoffentlich meinen türkischen Pass, dann wird vieles einfacher“, hofft Alahdab. Er hat Glück, weil er offiziell über Saudi Arabien mit gültigen Papieren gekommen ist. Das ermöglicht es ihm, zu arbeiten und ein Geschäft zu eröffnen.

Lediglich 6.000 Syrer haben eine Arbeitsgenehmigung in Istanbul. Die anderen leiden unter dem sogenannten „Gast“-Status, mit dem der Kampf ums Überleben in der Metropole schwer ist. Das Elend ist allgegenwärtig auf den Straßen Istanbuls: Betteln, Wasser verkaufen oder in einer der illegalen Textilwerkstätten arbeiten bringt etwas Geld, doch kaum genug, um ein menschenwürdiges Leben zu führen und den Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen.

Mehr als zwei Millionen Menschen hat die Türkei bisher aufgenommen, neben Syrern auch Afghanen, Iraker, Iraner. Damit leben in der Türkei mehr Flüchtlinge als in der gesamten EU. „Die EU muss mehr tun, um uns bei der Unterbringung der Menschen hier zu unterstützen“, sagt Andrew Gardner, Rechercheur mit Schwerpunkt Türkei bei Amnesty International. Die jüngsten Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu wertet er als positiv. Die EU will der Türkei Geld geben, damit die Flüchtlinge im Land bleiben und nicht weiter nach Deutschland ziehen.


Die Stimmung könnte kippen

„Allerdings würde ein solches Abkommen vollkommen außer Acht lassen, mit welchen Schwierigkeiten die Flüchtlinge hier konfrontiert sind“, kritisiert der Menschenrechtsexperte Gardner. Er sieht außerdem die Gefahr, dass die EU sich durch ein Abkommen mit der Türkei ihrer Verpflichtung auf Kosten der Menschen entzieht. „Die EU muss weiterhin einer größeren Anzahl an Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, Schutz gewähren“, fügt er hinzu.

In der Türkei könnte die Stimmung jederzeit kippen. In allen größeren Orten prägen die Flüchtlinge mittlerweile nicht nur das Stadtbild, es wachsen auch Misstrauen und Feindseligkeit. Die Türkei leidet unter einer Arbeitslosenquote um die zehn Prozent. Die Geflüchteten überschwemmen den Niedriglohnsektor und drücken die Löhne weiter nach unten.


Angela Merkel als Bittstellerin

Auch der Wohnungsmarkt ächzt unter der Last der Mehrbürger: Zwar spiegelt sich die angespannte Stimmung nicht in den oft staatlich gelenkten Medien wieder, aber Menschenrechtsorganisationen warnen, dass Geflüchtete immer häufiger Opfer von Gewalt werden. Hinzu kommt die Sorge, dass die Türkei mit den Syrern womöglich auch den Islamischen Staat (IS) ins Land lässt: Bei mehreren Terroranschlägen sind in den vergangenen Monaten über 100 Menschen getötet worden.

Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu sind die Geflüchteten vor allem ein Trumpf. Gerade kurz vor den Wahlen am 1. November waren die Bilder mit der deutschen Kanzlerin als Bittstellerin ein Glücksfall. Erst wenige Tage zuvor hatte er sich über Merkels Nominierung für den Friedensnobelpreis lustig gemacht. Nun präsentierte er sich als ihr starker Helfer.

Seit die Grenzen nach Europa immer weiter abgeschottet werden, erzählen Mitarbeiter von Flüchtlingsorganisationen hinter vorgehaltener Hand, dass die Zahl der Hilfsbedürftigen drastisch sinkt: Wer seine Zukunft nicht in der Türkei sieht, muss sich jetzt auf die lebensgefährliche Reise machen.


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