Mit dem Bus ins Nirgendwo
Die Dächer des alten Materiallagers bei der serbischen Stadt Subotica sind verrottet, doch bei 38 Grad bieten sie etwas Schatten. Hafeez (27) und Anisgull (25) haben sich mit ihrer eineinhalb-jährigen Tochter Melika hierhin zurückgezogen. Sie sitzen auf verrosteten Wellblechen, die sie auf den Boden gelegt haben.
Die kleine Familie hat sich vor zwei Monaten aus dem afghanischen Herat auf den Weg nach Deutschland gemacht. Doch nun sind sie nicht mehr sicher, ob sie jemals ankommen: „Ungarn ist dicht, Kroatien ist dicht, und wir sitzen hier in Serbien fest“, klagt der junge Vater. Sein Handyguthaben ist aufgebraucht, Internetempfang gibt es hier nicht, und das Geld ist ihnen auch ausgegangen. „Zu welcher Landesgrenze soll ich meine Familie denn jetzt bringen?“, fragt er. Doch diese Frage kann im Moment niemand beantworten.
Mal werden die Grenzen aufgemacht, mal werden sie wieder geschlossen: Dieses Hin – und Her haben die Regierungen Ungarns, Serbien und Kroatien zuletzt auf die Spitze getrieben. Mit dem Ergebnis, dass die Flüchtlingspassage über die Balkanroute nicht mehr funktioniert. Entweder stehen die Menschen vor dem ungarischen Stacheldrahtzaun oder riskieren ihr Leben in den verminten Feldern zwischen Serbien und Kroatien. In jedem Fall aber landen sie vor verschlossenen Türen.
Die kroatische Regierung hat am vergangenen Freitag sieben von acht Grenzübergängen ins benachbarte Serbien geschlossen. Bei einem Pressetermin am selben Tag im serbischen Durchgangslager Kanjiza stand Arbeits- und Sozialminister Aleksandar Vulin bereits vor leeren Zelten. Die rund 1.500 Menschen, die in der vergangenen Woche die Kapazität des Camps gesprengt hatten, waren schon wieder weitergezogen. Serbien wolle ja gemeinsam mit den europäischen Partnern einen Weg zur Lösung der Flüchtlingsfrage finden, sagte Vulin. Aber er erwarte auch, „dass unsere Stimme in Europa gehört wird, denn wir sind es, die die Hauptlast tragen, wenn die Flüchtlinge in unserem Land stranden“.
Doch Belgrads Stimme verhallt schon 170 Kilometer entfernt. Auf der Brücke über die Donau, dem Grenzübergang zwischen dem serbischen Bezdan und dem kroatischen Batina, blockieren ein Bagger und Einsatzwagen der kroatischen Polizei den Weg. Rund 300 Flüchtlinge drängeln sich davor, einige haben Zelte aufgeschlagen. „Wir gehen hier nicht weg, bis die Kroaten uns durchlassen“, skandieren sie. Der Syrer Mohammed (32) ist mit seiner Familie unterwegs. Mit 13 Leuten drängen sie sich im Schatten des winzigen Grenzhäuschens zusammen, während die Mittagssonne auf den Asphalt brennt.
Weil Menschen in der Hitze zusammenbrechen, ist das Rote Kreuz mit Rettungswagen hier unterwegs. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen verteilt Wasserflaschen. Mohammed ist außer sich: „Sieh dir an, was Merkel uns antut. Erst sagt sie, wir dürfen kommen, und jetzt lässt sie uns im Stich“. Sein Daumen zeigt erst nach unten, dann ballt der die Faust.
Die Busse fahren Richtung Österreich
Doch auch für die Flüchtlinge, die es entweder noch vor der Grenzschließung oder über die grüne Grenze auf die kroatische Seite geschafft haben, sieht es nicht besser aus. In Tovarnik, einer Kleinstadt im Norden der Adriarepublik, campieren 2.500 Menschen auf dem Gelände um die kleine Bahnstation. In den Gräben rechts und links der Straße sammelt sich der Müll: Windeln, leere Wasserflaschen und Kleidungsfetzen. Eine Krankenschwester redet auf einen Mediziner von Ärzte ohne Grenzen ein, die Arabisch-Übersetzerin hat Mühe, mitzukommen. Der Junge, dem sie gerade ein Infusion legt, wird eine weitere Busfahrt nicht überstehen: „Der Junge ist massiv unterzuckert, er muss sofort ins Krankenhaus“, sagt die Krankenschwester.
Im Eingangsbereich des improvisierten Camps stehen kroatische Linienbusse bereit. Die Polizisten haben Mühe, die Passagiere halbwegs geordnet in die Busse steigen zu lassen. Dann geht es eineinhalb Stunden bis an die ungarische Grenze. Eine Polizeieskorte begleitet die Busse. Ihre Sirenen durchschneiden die Stille des Abends. Um 21.00 treffen zehn Busse am ungarischen Checkpoint Beremend ein. Erschöpft drängen die Menschen aus den Fahrzeugen. Kinder schreien, Väter halten ihre Töchter im Arm. Der ungarische Grenzschutz nimmt die Flüchtlinge in Empfang.
An der Grenze ist es stockdunkel, nur die Scheinwerfer der zahlreichen Fernseh-Kameras werfen Schlaglichter auf die kleinen Gruppen, die argwöhnisch auf die Busse zusteuern, die auf der ungarischen Seite für sie bereitstehen. Während die Flüchtlinge umsteigen, ist Journalisten der Zutritt auf ungarisches Gebiet verwehrt. Immer wieder blenden Polizisten die Kameras mit ihren Taschenlampen. Als alle umgestiegen sind, verschwinden die Busse im Dunkel. Später sollen Züge sie an die Grenze nach Österreich bringen. Beinahe scheint es, als hätten die Menschen ihr Ziel erreicht. Doch an diesem Tag ist es unendlich weit weg.