Bosnien-Herzegowina

Ich bin das Museum

Zwei Holzbretter versperren symbolisch den Eingang zum Nationalmuseum von Bosnien und Herzegowina. Auf ihnen steht in roten Lettern geschrieben: „Geschlossen“. Daneben ein Protestschild mit den Worten: „Ohne Museum, ohne Kultur, ohne Moral“. 2012 wurde die Sammlung aufgrund fehlender Mittel für Besucher geschlossen. Jetzt wird es wieder eröffnet.

Das hat auch mit dem grünen Plakat zu tun, dass seit einigen Monaten über dem Eingang angebracht ist und auf dem steht: „Ja sam Muzej“, auf Deutsch: „Ich bin das Museum“. Es geht um eine Aktion, die im vergangenen Dezember von Mitarbeitern des Museums und Aktivisten ins Leben gerufen wurde.


Druck von unten

Die 31-Jährige Ines Tanovic-Sijercic war von Anfang an bei der Aktion dabei. Als sie und andere Aktivisten das Museum im Dezember betraten, waren sie vom Zustand geschockt. Es lag hoher Schnee, das Thermometer sank auf weit unter null Grad. Die Mitarbeiter des Museums saßen in dicken Jacken und unter Decken in kleinen Räumen und wärmten sich, weil die Heizung des Nationalmuseums nicht funktionierte: „Sie haben hier ausgeharrt und auf etwas aufgepasst, dass uns allen gehört“, sagt Tanovic-Sijercic mit Dankbarkeit für die 43 Mitarbeiter des Museums. Die haben weiter gearbeitet, obwohl sie Jahrelang kein Gehalt bekamen und noch nicht mal krankenversichert waren. Ganze 42 Monatsgehälter wurden den Mitarbeitern nicht ausgezahlt.
Der Slogan „Ich bin das Museum“ sollte die Bürger ermuntern persönlich Verantwortung für das Museum zu übernehmen. Die Aktivisten haben viele Spenden bekommen. Sie fragten bei den Menschen nicht nach Geld, sondern nach konkreten Dingen: Laptops, Tische, Stühle aber auch Toilettensitze.

Der Druck, das Museum wieder zu eröffnen kam von untern. Die Hoffnung auf die politischen Eliten haben die meisten Bürger Bosnien und Herzegowinas längst aufgegeben. Ohne eigene Initiative würde das Museum nicht öffnen.
Die Aktion ist auch ein Kind der bosnischen Proteste von Februar 2014. Verschiedene Plenen von Arbeitern forderten damals ein anderes Bosnien. Tanovic-Sijercic sieht diese Arbeiter als Genossen. Ihre Wortwahl erinnert dabei an vergangene Zeiten: „Auch das hier ist eine Fabrik, aber es ist eine Fabrik des Wissens. Die Geschichte ist dieselbe, nur das hier Arbeiter der Kultur sind und dort Arbeiter der Industrie.“


Niemand fühlt sich verantwortlich

Auch die finanziellen Probleme des Nationalmuseums reichen weit zurück. Als durch den Friedensvertrag von Dayton das Land zwischen den Kriegsparteien aufgeteilt wurde, wollte sich niemand mehr um das Museum kümmern. Es gibt im Land 14 verschiedenen Kultusministerien für die 3,8 Millionen Einwohner des Landes. Diese haben jeweils andere Perspektiven auf die Geschichte des Landes.

Darin sieht Tanovic-Sijercic auch das Problem: „Das ist nicht das Museum der Bosniaken, der Kroaten oder der Serben. Das ist das Museum der Bürger Bosnien und Herzegowinas. Es erzählt die Geschichte, wie wir friedlich auf diesem Boden zusammen gelebt haben. Es ist niemandes Museum auf niemandes Land. Deswegen fühlt sich niemand dafür verantwortlich.“

Die Finanzierung ist nun bis 2018 sicher und wird nun von verschiedenen Trägern übernommen. Dazu zählen auch die Stadt Sarajevo und Kantone mit einer bosniakischen Bevölkerungsmehrheit. Aus dem serbischen Landesteil und den Kantonen mit kroatischer Bevölkerungsmehrheit kommt keine Unterstützung für das Museum. Die meisten Serben und Kroaten in Bosnien und Herzegowina halten das Land nicht für ihres und orientieren sich stärker an Zagreb und Belgrad als an Sarajevo.

Bereits vor der offiziellen Eröffnung wurden sogenannte Wachen abgehalten. Prominente boten sich als Paten an und eröffneten das Museum für kurze Zeit wieder. Die letzte Wache fand am Freitag statt. Eine ältere Dame betritt zum ersten Mal seit Jahren das Museum und sagt: „Dieser Zustand war eine Schande. Ich war in Sarajevo während der Belagerung und das Museum war geöffnet. Ein Glück, dass ich noch erleben darf, wie das Museum wieder öffnet.“


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Quellen:

Gespräche und Recherche vor Ort
Besuch der letzten Wache
Homepage der Aktivisten: http://jasam.zemaljskimuzej.ba/


ENDE

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