Bitte keine Flüchtlinge
Pater Popescu musste in seinem Flüchtlingsheim im tschechischen Brünn vor kurzem Veränderungen vornehmen. Doch hat der Heimleiter keine neuen Betten angeschafft oder Zimmer vergrößert, er hat lediglich den Namen des Hauses geändert: Es heißt nun Migrantenheim. Denn: Flüchtlinge kommen in Tschechien kaum noch an.
Kaum ein Land in der EU zählt weniger Asylwerber als Tschechien. Knapp 1.200 Menschen haben hier im vergangenen Jahr um Aufnahme gebeten. 86 erhielten den Asylstatus, weitere 294 subsidiären Schutz, also einen temporären Aufenthaltstitel. Tschechien will bis zum Jahr 2017 insgesamt 1.500 Flüchtlinge aufnehmen.
Cristian Popescu, ein kleiner Mann mit langem Bart und freundlichen Augen, sitzt im leeren Essensaal seines Heims, wenige Schritte von der Brünner Altstadt entfernt. An den Wänden hängen Kinderzeichnungen und ein müde dreinschauender Jesus. Popescu, ein orthodoxer Priester, der in den 1980er Jahren von Rumänien nach Tschechien zog, hat in seiner Unterkunft viele Flüchtlingswellen gesehen: In den 1990er Jahren kamen Menschen aus dem zerfallenden Jugoslawien, später folgten Ukrainer und Zentralasiaten. Heute beherbergt Popescu nur mehr eine Handvoll Arbeitsmigranten: Moldauer, Rumänen und Russen. Im obersten Stock wartet noch eine afrikanische Familie auf ihren Asylbescheid.
Eigene Geschichte verdrängt
Dass so wenige Flüchtlinge nach Tschechien kommen, liegt daran, dass die Dublin-Verordnung den EU-Binnenstaat abschirmt. Die Flüchtlinge reisen nicht über Tschechien in die EU ein, somit ist das Land auch nicht für ihre Asylverfahren zuständig. Zudem wollen die meisten Flüchtlinge lieber nach Deutschland oder Schweden.
Dennoch haben sich die Politiker in Prag auf das Flüchtlingsthema versteift und weigern sich, auf europäischer Ebene mehr Verantwortung zu übernehmen. Wenn Brüssel Quoten durchsetzen will, stellt sich Tschechien quer.
Die eigene Migrationsgeschichte hat das Land dabei offenbar verdrängt: Nach dem sowjetischen Einmarsch 1968 waren viele Tschechen selbst Asylsuchende, fast jede Familie hatte damals einen Flüchtling in den eigenen Reihen. In den 1990er Jahren sei die Erinnerung daran noch wach gewesen und die Solidarität – etwa mit den Flüchtlingen der Jugoslawienkriege – groß, erinnert sich Pater Popescu. Doch damit sei es nun vorbei.
Weniger als ein Prozent Muslime
„Wir fürchten, dass mit den Flüchtlingen auch die Kämpfer des Islamischen Staates, Al-Kaida und anderer Terrorgruppen kommen könnten“, sagt der sozialdemokratische Innenminister Milan Chovanec. Präsident Milos Zeman fällt regelmäßig mit islamfeindlichen Äußerungen auf. Diese Woche warnten 550 tschechische Wissenschaftler und Akademiker in einem Aufruf vor rasant wachsender Fremdenfeindlichkeit im Land und verlangten von ihren Politikern, sich nicht auf Kosten von Flüchtlingen zu profilieren.
In Tschechien wird seit Monaten mit dem Islam Politik gemacht und eine Gefahr für die „christlich-abendländische“ Identität heraufbeschworen – dabei ist weniger als ein Prozent der tschechischen Bevölkerung muslimisch. Die Initiative „Block gegen den Islam“ hat mehr als 150.000 Unterschriften für eine Anti-Islam-Petition gesammelt und hegt Bestrebungen, bei den nächsten Regionalwahlen anzutreten.
In der Slowakei ist die Stimmung ähnlich: Der sozialdemokratische Premier Robert Fico warnte kürzlich, dass sich Terroristen unter die muslimischen Flüchtlinge mischen könnten. Das Land hat sich zur Aufnahme von 200 Kriegsflüchtlingen aus Syrien verpflichtet. Doch die Slowakei will ausschließlich syrische Christen aufnehmen. Die Regierung streitet ab, Muslime zu diskriminieren. Die Slowakei sei ohnehin nur ein Transitland, hieß es aus dem Innenministerium. 331 Asylanträge bearbeiteten die slowakischen Behörden im Jahr 2014, nur 20 wurde stattgegeben.
Bislang keine Proteste in Polen
In Polen indes gibt es bislang keine Proteste oder Unterschriftenaktionen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Willkommen sind sie dennoch nicht – vor allem, wenn sie aus fremden Kulturkreisen stammen. Nach langem Hin und Her hat sich die polnische Regierung zwar verpflichtet, rund 2.000 Flüchtlinge im Rahmen der EU-weiten Verteilung aufzunehmen – vor allem Syrer und Eritreer. Mehr sollen es aber nicht werden, denn „wir müssen ständig bereit sein, Flüchtende aus dem Osten aufzunehmen, wenn dort etwas Schlimmes passiert“, so Vize-Außenminister Rafal Trzaskowski.
Osten – damit meint Trzaskowski vor allem die Ukraine. Tatsächlich steigt die Zahl der Ukrainer, die infolge des bewaffneten Konflikts in ihrem Land einen Asylantrag in Polen stellen, seit 2013 stark an. Im ersten Halbjahr 2015 haben insgesamt 3.800 Menschen in Polen einen Asylantrag gestellt, darunter nur rund 50 Syrer – die große Mehrheit stammt aus Tschetschenien und eben der Ukraine.
Einer von ihnen ist Viktor Tchakov. Mit seiner Frau und den beiden Kindern ist der 30-Jährige im März aus dem Donezkbecken nach Polen gekommen. Seit zwei Monaten lebt er mit 90 anderen Asylsuchenden im Flüchtlingsheim in der Gemeinde Grotniki, nahe der Großstadt Lodz.
Gern gesehene Arbeitskräfte
Tchakovs breite Schultern wirken eingesunken, die Augen müde, er spricht leise. Der gelernte Ingenieur fürchtet in seiner Heimat jedoch nicht die russischen Separatisten, sondern die ukrainischen Sicherheitskräfte. „Weil mein Bruder sich den Separatisten angeschlossen hat, haben mich die Ukrainer im Visier“, sagt Tchakov. Obwohl er auf keiner Seite kämpfen wolle, verdächtigte man ihn, ebenfalls Separatist zu sein. „Ich will mit dem Krieg nichts zu tun haben“, sagt er.
Ukrainer wie Tchakov sind in Polen gern gesehen, wenn sie als Arbeitskräfte anreisen. Im Jahr 2014 beantragten polnische Arbeitgeber rund 400.000 Arbeitserlaubnisse für Ukrainer, die meist positiv beschieden wurden. Einen Schutzstatus zu erhalten ist für sie hingegen problematisch. Die Ausländerbehörde argumentiert, diese Menschen könnten schließlich als Binnenflüchtlinge im eigenen Land Zuflucht finden, etwa im Westen der Ukraine. Tchakov zuckt ob dieser Begründung nur mit den Schultern. „Für mich gibt es keine Rückkehr in die Ukraine, das Beste, was mich dort erwartet, ist Gefängnis.“
Auch wenn er es mit einem Asylgesuch in Polen schwer hat – zumindest werden er und andere Ukrainer kaum verdächtigt, potenzielle Terroristen zu sein. Muslimische Flüchtlinge hingegen sehen sich diesem Vorurteil ausgesetzt.
Angstmache beginnt
Im August sickerte ein interner Bericht des Geheimdienstes ABW an die polnischen Medien durch. Demnach hatte der ABW 200 Personen im Visier, die einst als Flüchtlinge in Polen waren und jetzt womöglich für den Islamischen Staat kämpfen – die meisten davon Tschetschenen. Außenminister Grzegorz Schetyna beeilte sich zwar, diesen Bericht von der Flüchtlingsfrage zu trennen. Doch vor allem rechte Parteien und Gruppierungen beschwören bereits die islamistischen Gefahren durch neue Flüchtlinge herauf.
Sollte sich diese Angstmache in der Bevölkerung durchsetzen, dürften es Menschen wie Islam Baskhavov und seine sechsköpfige Familie in Polen schwer haben. Der Tschetschene lebt ebenfalls in Grotniki, die Behörden prüfen derzeit seinen Widerspruch gegen einen negativen Asylbescheid. „Ich kann nicht zurück nach Tschetschenien, denn dort werde ich von den Behörden gesucht“, sagt er. Details will er nicht erzählen, betont aber: „Ich will nichts mit Politik zu tun haben, ich will mich nur sicher fühlen, meine Kinder haben noch nie so viel Freude im Gesicht gehabt wie hier.“
Menschen aus der Nachbarschaft des Heims bringen immer wieder nützliche Dinge für die Flüchtlinge – Kinderwagen, Kleider, Spielzeuge. „Die Polen sind gastfreundlich. Wir haben in unserer Geschichte selbst Hilfe für flüchtende Landsleute erhalten“, sagt die Heimleiterin Malgorzata Niedzielska. „Nun brauchen andere unsere Hilfe.“
Der Ukrainer Viktor Tchakov würde gerne in Polen bleiben, er sucht bereits Arbeit. „Wenn Gott will, können wir hier sicher leben.“ Auch Islam Baskhavov will nicht weg. Seine Frau erwartet ihr fünftes Kind. „Es macht keinen Unterschied, dass wir Muslime sind und das Land katholisch. Wir stammen alle von Adam ab“, sagt er.