Butterbrote für die Flüchtlinge
Szilard Kalmar ist empört. „Auf den Plätzen einer Hauptstadt Europas hungern Menschen“, sagt der Sozialarbeiter. Der 39-jährige großgewachsene braunhaarige Mann steht im Keller eines Altbaus in Budapest und rührt in einem Topf mit Linsensuppe. Das Essen wollen er und seine Mitarbeiter mittags auf dem Janos-Pal-Papa-Platz an die vielen Flüchtlinge verteilen, die derzeit über Serbien nach Ungarn kommen.
Erst vor kurzem hat Kalmar die Organisation „Refugees Welcome Hungary (RWH)“ gegründet – als Reaktion auf die Politik der ungarischen Regierung von Viktor Orban, die derzeit eine großangelegte Kampagne gegen die Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan führt.
Laut der ungarischen Einwanderungsbehörde erreichten bis Ende Mai über 50.000 Flüchtlinge Ungarn. Die meisten von ihnen kommen über den Balkan, vor allem aus Serbien – und viele wollen gleich weiter: Am Hauptbahnhof in Budapest warten sie auf Schlepper, die sie nach Wien, Berlin oder Stockholm bringen sollen.
Andere bleiben in Ungarn und kommen zunächst in ein Flüchtlingslager. „Das sind vor allem Familien mit kleinen Kindern, die schon Fußwanderungen und Übernachtungen im Wald hinter sich haben“, erklärt Lilla Zentai von der Flüchtlingshilfsorganisation Menedek.
Die Zahl der Ankommenden wächst, seitdem die ungarische Regierung entschieden hat, einen hochbewachten Grenzzaun an der serbischen Grenze zu bauen. Premierminister Viktor Orban möchte damit verhindern, dass die Flüchtlinge ins Land kommen. Anfang August haben die Bauarbeiten begonnen. Obwohl rund 90 Prozent der Asylbewerber im vergangenen Jahr Ungarn Richtung Westen verließen, schürt Orban den Fremdenhass – zuletzt mit Plakaten wie „Wir wollen keine illegalen Einwanderer“.
„Diese Kampagne finde ich furchtbar,“ sagt eine mittelalte Freiwillige von „Refugees Welcome Hungary“, die ihren Namen lieber nicht nennen will. Erst kürzlich habe sie für eine Nacht eine Familie aus dem Iran aufgenommen. „ Das Mädchen war so alt wie meine Tochter. Bei mir konnten sie baden, und die Kleine hat sich ausgeschlafen“, erzählt sie.
An den Wänden des Kellerraums stapeln sich Wasserflaschen und Essensspenden, auch Kleider sammeln die Freiwilligen. Gerade bringt eine Bäckersfrau zwei große Mehltüten voller Backwaren mit, ihre drei Kinder hat sie zum Helfen mitgebracht. Am Tisch bereiten zehn Frauen Frühstückspakete vor: Drei Scheiben Brot, Schmierkäse, eine Paprika. Bis zu 200 Brote und 500 Mittagessen verteilen die Helfer jeden Tag.
„Die ungarische Bevölkerung zeigt außerordentliche Solidaritätsreserven“, sagt Organisationschef Kalmar erfreut. Die Facebook-Gruppe der Organisation mit über 2.500 Mitgliedern zeugt davon – und jeden Tag melden sich neue Freiwillige aller Altersgruppen.
Diese Hilfsbereitschaft zeigt sich auch in Szeged, einer Universitätsstadt an der Grenze zu Serbien. 2.500 Unterstützer hat die Gruppe „Migrants Solidarity Szeged“ mittlerweile. „Außer materieller Hilfe und praktischen Informationen ist es wichtig, den Ankommenden ein offenes Ohr zu leihen,” sagt Mark Kekesi, der hauptberuflich als Psychologiedozent an der Universität arbeitet und die Gruppe im Juni gegründet hat.
Obwohl sich Hassparolen und eine negative Einstellung gegen Flüchtlinge in der Bevölkerung häufen, bemerkt Kekesi: „Die Bürger von Szeged sehen, wie viele verschiedenen Menschen helfen. Unsere Arbeit ist in lokalen und nationalen Medien sehr präsent.“ Er hofft, dass durch seine Arbeit die Angst vor den Neuankömmlingen kleiner wird.
Mit ihrer Arbeit versuchen die Freiwilligen, den Flüchtlingen ein anderes, menschlicheres Bild von Ungarn zu zeigen. „Meine Familie aus dem Iran ist in Belgien angekommen und hat morgen ihre Anhörung für den Asylprozess. Ich drücke ihnen die Daumen!“, erzählt die Freiwillige von „Refugees Welcome Hungary“ freudig. Dann verlässt sie den Keller und geht in den Park, wo sie Kekse an Flüchtlinge verteilt.