Ukraine

„Der Krieg bietet vielen neue Betätigungsfelder“

n-ost: Einen Teil ihrer Motivation für die Recherche im Donbass ziehen Sie aus der Kritik an der journalistischen Arbeitsweise in der Konfliktregion. Woran entzündet sich Ihre Kritik?

Plocharski: Viele Journalisten fahren nur kurz an die Front und nehmen ihr Material auf. Sie haben alle Treffen verabredet und wissen im Vorfeld, was passieren wird. Ich finde, das ist eine sehr künstliche Methode der Informationsübermittlung. Gleichzeitig ist sie für den Journalisten sehr effektiv. 

Wie ist es um das Verhältnis zwischen den Kämpfern an der Front und den Reportern bestellt? 

Die Soldaten sind extrem misstrauisch und lassen sich nur selten auf Interviews oder Aufnahmen ein. Das lässt sich zum einen mit Sicherheitsgründen erklären. So dürfen etwa die Straßensperren, an denen man viele der Kämpfer antrifft, nicht gefilmt werden. Zum anderen möchte ein Soldat nichts Persönliches von sich preisgeben – zumal dann, wenn er die Person, die ihn anspricht, nicht kennt. 


Separatisten an der Front bei Schtschastja nördlich von Luhansk. / Foto: Sebastian Plocharski, n-ost

Sie haben vor kurzem in der Luhansker Volksrepublik (LNR) recherchiert. Wie verlief die Einreise in die Volksrepublik?

Wir fuhren bis kurz vor die faktische Grenze zur LNR. An der ersten Straßensperre wurden wir von zwei Soldaten in Empfang genommen und vier Stunden lang verhört. Die Soldaten beschimpften uns als Faschisten. Sie durchsuchten unsere Laptops und drohten damit, uns zu verprügeln, wenn wir nicht sämtliche Daten preisgeben. Dann brachte uns der Geheimdienst zum weiteren Verhör nach Luhansk. Dort war die Situation wesentlich entspannter.

Haben Sie offen gelegt, dass Sie als Dokumentarfilmer unterwegs sind?

Ich machte keinen Hehl daraus, dass ich Dokumentarfilmer bin und auch Material über den Rechten Sektor gesammelt hatte. Als mir der Agent versicherte, dass er es toll finde, was ich da mache, wusste ich, dass wir in Sicherheit waren.

 Welche Rolle spielte Ihre polnische Herkunft in diesem Zusammenhang? Die russische Propaganda gibt sich schließlich alle Mühe, Polen in ein negatives Licht zu rücken.

Ich würde nicht behaupten, dass die eine Konfliktpartei den Polen gegenüber grundsätzlich freundlich gesinnt ist, während die andere eine grundsätzlich negative Haltung an den Tag legt. Teilweise erweist sich meine polnische Herkunft sogar als guter Gesprächsöffner. Viele der Soldaten auf beiden Seiten der Front haben bereits in Polen gearbeitet und freuen sich, ihre Erfahrungen mit mir auszutauschen.

Liefen Sie nicht Gefahr, von den Machthabern in der LNR instrumentalisiert zu werden? 

In der Tat führte der Fernsehsender Luhansk 24 ein Interview mit uns. Danach rief jemand vom Sender an und erklärte uns, dass das Interview nicht richtig aufgenommen wurde. Wir mussten dasselbe Interview noch zwei Mal geben. Die Aufnahme lief dann auch im Fernsehen – allerdings in einer stark geänderten Propaganda-Variante! 

Wie sah die aus?

Ich hatte dem Journalisten erzählt, dass ich auf beiden Seiten große Patrioten kennengelernt habe, die für ihr Land kämpfen wollen. Der Sender schnitt die Aussage so zusammen, dass es wirkt, als hätte ich lediglich den Separatisten einen starken Patriotismus und eine hohe Kampfbereitschaft attestiert. 


Plocharski (links) mit Angestellten des Fernsehsenders Luhansk24 kurz vor einem Frontbesuch. / Foto: Sebastian Plocharski

Aus welchen Gründen bleiben die Menschen in der Volksrepublik oder kämpfen gar für sie?

Es gibt verschiedene Gruppen. Da sind etwa die Söldner, die ohne den Kampf nicht leben können. Dort finden sich jede Menge Russen, aber auch Tschetschenen – in diesen Reihen habe ich sogar einen Italiener getroffen. Eine zweite Gruppe besteht aus Ideologen in Regierungspositionen. Paradigmatisch hierfür steht der Vizeminister für Informationen und Presse der LNR. 

Inwiefern?

Der Mann hat Grafik und Design an der Hochschule gelehrt und das Corporate Design der LNR entworfen. Sein höheres Ziel ist es, beim Aufbau eines neuen und unabhängigen Staates mitzuwirken. Dieses Ziel verfolgt er mit großem Idealismus.

Man hat nicht den Eindruck, dass jeder Regierungsoffizielle in den Volksrepubliken so tickt.

Den Ideologen stehen die Kriegsunternehmer entgegen. Sie finden sich im Staatsapparat, aber auch bei den Generälen der ukrainischen Armee. In Luhansk traf ich einen Russen, der mir erzählte, dass er in seiner Heimatstadt Moskau ein Niemand gewesen sei. In der LNR hingegen könne er beim Aufbau von Regierungsstrukturen helfen. Der Krieg bietet vielen Leuten neue Betätigungsfelder und Geschäftsmöglichkeiten.


Zivilist in der LNR mit einem gewissen Hang zur Nostalgie. / Foto: Sebastian Plocharski

Was ist mit der Bevölkerung?

Die gewöhnlichen Leute haben mich am meisten überrascht. Obwohl große Armut und Inflation herrscht, fühlen sie sich als Russen und sagen, dass Luhansk schon immer zu Russland gehört hat. Die wirtschaftliche Krise sei der Preis, den sie für die Freiheit zahlen. Man müsse eben den Gürtel enger schnallen und durch. 

Gilt das nicht nur für die ältere Bevölkerung?

Ich habe mich auch mit Anglistik-Studierenden unterhalten. Die fahren ebenfalls eine pro-separatistische Linie. Sie unterstützen die jetzige „Regierung“ der LNR und wollen in Noworossija leben. Ich gab zu bedenken, dass sie niemals zum Studieren ins englischsprachige Ausland reisen können. Ihre Antwort: „Dann eben nicht.“

Wie stehen die Soldaten an der Front zum Abkommen von Minsk und zum Waffenstillstand?

Alle fühlen sich von Minsk II für dumm verkauft. Die Soldaten auf beiden Seiten der Front glauben nicht an die Macht der Politik. Sie erfahren am eigenen Leib, dass Minsk nur auf dem Papier existiert. Ständig kommt es zu Provokationen und zu Feuergefechten. 

Gleichzeitig hindert das Minsker Abkommen die Soldaten an größeren Offensiven. Wie wirkt sich das auf das Befinden an der Front aus?

Die ukrainischen Soldaten sind wütend auf die Politiker in Kiew. Sie verstehen nicht, weshalb Poroschenko noch keinen Kriegszustand ausgerufen hat. Sämtliche Soldaten, mit denen ich gesprochen habe, haben nur Verachtung für ihren Präsidenten übrig. Auch die separatistischen Kämpfer verfluchen die vermeintliche Waffenruhe. Ihr Zorn richtet sich gegen den Umstand, dass Minsk II der ukrainischen Seite eine Verschnaufpause verschafft. Die Separatisten sehen darin nichts als verschwendete Zeit, in der sie eigentlich kämpfen könnten.

Zum Projekt von Sebastian Plocharski: http://makecoffeenotwar.org/pl/


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