Heimspiel für Tsipras
Knapp zwei Kilometer nordöstlich vom Athener Zentum entfernt liegt der am dichtesten besiedelte Stadtteil der Hauptstadt: Kipseli. Es ist ein Problemviertel mit einer hohen Arbeitslosenquote und einer relativ hohen Kriminalitätsrate. Dennoch wohnt Premierminister Alexis Tsipras dort weiterhin in seiner Wohnung, die er bereits als Student mit seiner Jugendliebe Betty Peristera bezogen hatte.
Hierher hat es auch Konstantinos Makedos verschlagen. Der 58-jährige Optikermeister war bis vor einem Jahrzehnt ein gefeierter Schauspieler. Er trat im Staatstheater auf, der serbische Dramatiker Dusan Kovacevic schrieb ihm ein Stück auf den Leib. Es lockte eine internationale Karriere, doch Makedos, der Familenvater, wollte bodenständig bleiben. Heute bereut er diesen Schritt. Der letzte Kassenbon seines Geschäfts ist auf den 26. Juni datiert. Danach schlossen die griechischen Banken. „Ich habe beim Referendum mit Nein gestimmt. Wir müssen zurück zur Drachme“, erklärt er.
Das Europa, das er erlebt, ist für ihn keine Gemeinschaft von Partnern mehr. „Ohne Schuldenschnitt gibt es keine tagfähige Lösung“, sagt Makedos fast so, wie die Syriza-Politiker bei den Verhandlungen in Brüssel. Seine eigene Zukunft sieht er düster. Die Krankenversicherungsbeiträge und Steuern der letzten Monate bezahlte er mit Kreditkarte. Die ist nun am Limit. „Danach bin ich unversichert, arbeitslos und arm. Genauso, wie die es in Brüssel für uns bestimmt haben“, klagt er.
„Tsipras hat Gott auf seiner Seite“
Die 62-jährige Maria, die an Makedos Geschäft vorbeispaziert, hat hingegen Hoffnung. Heute trägt sie ein T-Shirt mit dem Siegeszeichen. Die letzten Tage demonstrierte sie in der ganzen Stadt mit einem großen Nein auf der Brust. „Egal was kommt, egal was Tsipras, der sich Atheist nennt, über Religionen sagt: Tsipras hat Gott auf seiner Seite. Das wird schon werden und wenn es mit der Drachme ist“, sagt sie.
Maria besucht heute die Ladengeschäfte entlang der Kipselis Straße und verbreitet Mut bei den Geschäftsleuten. Den können sie gut brauchen, denn kaum ein Kunde verliert sich in die Läden. Die sonst lebhafte Ecke Athens scheint wie ausgestorben. An einigen Bankautomaten ist das Geld bereits ausgegangen. Wo noch Automaten mit Geld stehen, verbreitet sich von Mund zu Mund in Windeseile. Solidarität ist für die Kipselioten, wie sie sich nennen, auch in der Krise kein Fremdwort.
„Schön, dass Du einkaufst. Du bist heute erst der fünfte Kunde“, grüsst Nikos Koliousis in seinem kleinen Kiosk. 1981 kam er mit seiner Familie aus den USA ins Heimatland des Vaters zurück. „Das waren noch gute Zeiten, damals mit der Drachme. Ich wähle immer die Zentrumsparteien. Links bin ich keineswegs, aber Tsipras, der hat was“, sagt Nikos in einem bestimmten Ton.
„Wer hat die Banken geschlossen? Das war doch die EZB. Die wollen den linken Tsipras mitsamt seiner Regierung doch nur stürzen, weil ihnen die Ideologie nicht passt“, erläutert Nikos seine positive Einstellung zum Nein. Dabei leidet auch seine Familie unter der Eskalation der Krise. „Mein Vater lebt im Dorf. Die nächste Bank ist 40 Euro mit dem Taxi entfernt, der Busverkehr wurde in der Krise eingestellt. Soll der Mann nun 40 Euro für die Taxe zahlen, um am Bankautomaten 60 Euro abzuheben?“ fragt Nikos. „Solange die Banken nicht aufmachen gehen wir zu Grunde", schließt er pessimistisch.