„Ich bin frei genug für dumme Fragen“
ostpol: Herr Springer, Ihre Architekturreportagen sind nun auch auf Deutsch erschienen. Sie drehen sich um Bauten im kommunistischen Polen – eine Zeit, die Sie selbst kaum erlebt haben. Woher das Interesse eines 33-jährigen Reporters an polnischer Architektur vor 1989?
Filip Springer: Als ich aufwuchs, hörte ich von der polnischen Elite, von Künstlern und Politikern immer nur die selbe Geschichte – dass alles, was im Kommunismus entstanden ist, schlecht sei. So auch die Architektur. Diese einfache Antwort hat mich irgendwann skeptisch gemacht. Viele Menschen in meinem Alter geben sich nicht mehr mit diesen simplen Erklärungen zufrieden. Unsere Generation fängt an, nach eigenen Antworten zu suchen.
Und, was finden Sie?
Springer: Zweifel machen auf jeden Fall nicht nur die Erzählungen über das kommunistische Polen, sondern auch über die Zeit nach 1989. So lautete eine der simplen neoliberalen Losungen, die wir lange bereit waren zu glauben: Der Markt regelt alles. Und ein Recht auf Wohnen gibt es nicht mehr, das musst du dir erst erarbeiten. Bis zur Wirtschaftskrise 2008 glaubten wir zudem, Wohnungen unbedingt kaufen zu müssen, statt sie nur zu mieten – und sitzen nun auf überteuerten Krediten fest. Da kann man schon einiges in Frage stellen.
Sie sind kein Architekt, sondern studierter Archäologe. Hat diese Distanz zum Fach irgendwelche Vorteile, wenn man über Architektur schreibt?
Springer: Unbedingt! Sie gibt mir die Freiheit, unbedarfte, bisweilen dumme Fragen zu stellen, auf die es aber oft kluge Antworten gibt. Warum sieht das so aus und nicht anders? Warum sind die Wohnungen so klein? Und die Wände so dünn? Diese Perspektive von außen macht das Thema für die Leser zugänglicher.
Und so haben Sie auch keine Architekturkritik verfasst, sondern die zum Teil wilden Biographien hinter den Gebäuden ausgeleuchtet. Wie haben diese Architekten, die ihre komplette Karriere dem Bauen im Kommunismus gewidmet haben, 1989 auf die Wende reagiert?
Springer: Das war tragisch. Viele von ihnen waren da bereits in ihren 50ern, 60ern oder 70ern. Und plötzlich erfuhren sie, dass ihr bisheriges Lebenswerk nichts mehr wert sein sollte, hoffnungslos, kommunistisch eben. Ihre Bauten wurden gesprengt, umgebaut, mit Werbung verhängt. Die einen kämpften daraufhin weiter um ihren Namen und um ihre Häuser – etwa Henryk Buszko und Aleksander Franta, die bis heute jeden verklagen, der ihre Objekte umbauen will. Die anderen zogen sich enttäuscht auf Dörfer zurück oder gingen in Rente, wie Oskar Hansen.
War es unter diesen Umständen schwierig, Zugang zu den Architekten, ihren Familien und Archiven zu erlangen?
Springer: Viele begegneten mir zunächst mit Distanz, weil sie befürchteten, einmal mehr lesen zu müssen, dass ihre Arbeit sinnlos war. Aber nachdem ich ihnen erklärt habe, dass ich kein Architekt bin und mich eben zu diesem Idioten gemacht habe, der nichts versteht, haben sie sich geöffnet.
Ihr Buch ist in Polen ein Renner und erschient nunmehr in der vierten Auflage. Haben Sie über die sehr persönlichen Geschichten dieser Architekten die polnische Nachkriegsarchitektur rehabilitiert?
Springer: Nicht wirklich. Denn diese Biographien fallen nicht immer positiv aus, es sind in erster Linie interessante Geschichten, die mich als Reporter natürlich interessieren. Ich rehabilitiere die Architektur vielleicht insofern, als dass ich sie unvoreingenommen betrachte und wertschätze. Sie mag aus schlechten Materialien erbaut und teils verkommen sein, aber dahinter stehen oft sehr gute Entwürfe.
Und Utopien. Wo sind die neuen Visionen in zeitgenössischer polnischer Architektur geblieben?
Springer: Ich befürchte, es gibt sie nicht wirklich. Die größten Ideen in zeitgenössischer polnischer Architektur sind wirtschaftlicher Erfolg und das Zur-Schau-Stellen des eigenen Status. Der Modernismus lebte vom Experiment, das oftmals auch gescheitert ist. Dieser Wille zum Experiment ist der polnischen Architektur von heute absolut abhanden gekommen.
Zur Person: Filip Springer, Jahrgang 1982, ist Reporter und Fotograf. Er arbeitet für verschiedene polnische Titel, darunter „Polityka“, „Rzeczpospolita“ und „Newsweek“. 2011 erschien sein erster Reportageband „Miedzianka. Historia znikania“ („Kupferberg. Eine Geschichte vom Verschwinden“). „Kopfgeburten. Architekturreportagen aus der Volksrepublik Polen“ ist sein zweites Buch. Es wurde bereits 2012 unter dem Titel „Źle urodzone“ in Polen veröffentlicht. 2013 folgte eine Biographie des Architektenpaares Zofia und Oskar Hansen.
Übersetzung von „Źle urodzone“ ins Deutsche: Lisa Palmes