Griechenland

Flucht auf die Urlaubsinsel

Dass es schwierig werden würde in Griechenland, hatte Ali gehört. Dass die Behandlung aber so schlecht sein würde, hatte der Ingenieur aus Afghanistan nicht erwartet. Gestern ist er auf der Insel Lesbos gelandet, seitdem ist er bei sengender Hitze zu Fuß unterwegs. „Ihr müsst nur noch in die Inselhauptstadt laufen, um euch zu registrieren“, hatte der türkische Schlepper gesagt. Dass es ein Gewaltmarsch von mehr als fünfzig Kilometern sein würde, hatte er verschwiegen. „Es ist wirklich sehr hart hier“, sagt Ali.

Ali ist nicht allein. Früh morgens kommen sie übers Meer, erst kleine Punkte am Horizont, dann sind die Konturen der Schlauchboote deutlich sichtbar. Menschen, dicht gedrängt, den Blick geradeaus gerichtet. Als sie den Strand erreichen, sind Jubelrufe zu hören. Erwachsene Männer weinen, lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Lautstark danken sie Allah, dass sie es bis hierher geschafft haben.


Es prallen Welten aufeinander

Etwa 50.000 Flüchtlinge sind allein in diesem Jahr an den Küsten Griechenlands gelandet. Es werden, jetzt, da das Wetter mild und die See ruhig ist, täglich mehr. Auf der Touristeninsel Lesbos, der drittgrößten griechischen Insel, nur wenige Kilometer vom türkischen Festland entfernt, ist die Lage besonders dramatisch.

Völlig erschöpft stolpern in diesen Tagen unzählige Gruppen von Flüchtlingen über die Insel. Syrische Teenager in Flipflops, verschleierte Frauen mit Rollkoffern und Rucksäcken, schwitzende Männer mit Babys auf dem Arm. Sie kommen durch idyllische Dörfer, in denen Touristen gemütlich vor Tavernen sitzen, schleppen sich vorbei an Stränden mit penibel aufgereihten Sonnenliegen.

„Hier prallen Welten aufeinander“, sagt Trevor, ein englischer Tourist am Straßenrand. Er kämpft mit den Tränen. Immer wieder bietet er an, Frauen das Gepäck abzunehmen, aber die schauen den Mann mit dem bunten Hemd und der sonnenverbrannten Stirn nur ungläubig an und gehen weiter.


Wer hilft, wird bestraft

Busse, um die Flüchtlinge von den Landungsstellen in die Inselhauptstadt Mytilini zu bringen, stellen Polizei und Küstenwache auf Lesbos nur selten bereit. Zu wenig Geld, zu viel Aufwand, heißt es. Viele Inselbewohner und Touristen sind wütend über so viel Gleichgültigkeit und wollen selber helfen, doch genau das erlauben ihnen die Behörden nicht. Wer einen Flüchtling mit dem Auto mitnimmt, gegen den kann als Schlepper ermittelt werden, so die Warnung der Polizei.

Fast stündlich klopfen erschöpfte Menschen an der Tür von Pensionswirt Babbis Vournouxouzis im Zentrum von Mytilini. Sie wollen ein Zimmer mieten, haben sogar genug Geld dabei, aber er darf ihnen keine Unterkunft geben. „Es bricht mir das Herz“, sagt der weißhaarige Mann leise, aber die Regeln der Behörden ließen ihm einfach keine andere Wahl. Seine Erinnerungen an jene Nacht, als Polizisten sein Hotel durchsuchten und ihn mitnahmen, weil sie dort Menschen ohne gültige Papiere fanden, sind noch frisch.

„Wir wollen uns das nicht länger gefallen lassen“, sagt Efi Latsoudi, eine Flüchtlingsaktivistin auf der Insel. Am vergangenen Wochenende gab es einen Protest-Flüchtlingsshuttle mit mehr als vierzig Autos vom Dorf Molivos im Norden bis in die etwa 60 Kilometer entfernte Inselhauptstadt. „Die Polizei hat gedroht, uns alle festzunehmen, hat es dann aber doch nicht getan“, sagt Efi Latsoudi.


Gastwirte bangen um ihre Einnahmen

Gleichzeitig fragen sich viele, was wohl aus ihrer Insel wird, wenn das so weiter geht. Gastronomen und Hoteliers fürchten Umsatzeinbußen, die Neuankömmlinge rufen bei Alteingesessenen Angst hervor. „Sie pissen hier alles voll, diese dreckigen Menschen“, pöbelt der Chef eines Mietwagenverleihs, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Im Hafen von Mytilini herrscht unterdessen weiter Chaos. Hier, wo im Sommer normalerweise Touristen durch die Gassen schlendern, campieren jetzt Menschen aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak. Erst wenn sie offiziell registriert sind und ein von den griechischen Behörden ausgestelltes Dokument vorweisen können, dürfen die Flüchtlinge ein Fährticket kaufen und Lesbos verlassen. Diese Ausstellung kann Tage dauern. Bis dahin müssen die Menschen auf der Straße oder in Auffanglagern schlafen. Für mehr als 1.000 Menschen gibt es in einem solchen Camp gerade einmal vier Toiletten. „Das ist doch kein Ort für Menschen“, sagt Samir, ein palästinensischer Flüchtling kopfschüttelnd und blickt umher. „Das ist ein Ort für Tiere.“

Ein Transporter stoppt, wirft Plastikboxen mit Essen in die Menge. Es ist der Besonnenheit der meisten Campbewohner zu verdanken, dass keine Kämpfe im Lager ausbrechen. Auf die Frage, warum die Menschen nicht besser versorgt werden, zuckt ein Polizist, der sich das Ganze aus der Distanz anschaut, nur müde mit den Schultern: „Griechenland hat kein Geld mehr.“


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