Aserbaidschan

Der Preis der Spiele

Millionen Sportfans verfolgen derzeit die ersten olympischen „Europaspiele“ in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Für die Austragung dieser Spiele allerdings bezahlen die Aserbaidschaner selbst einen sehr hohen Preis.

Zunächst ist es gerade für ein so kleines, unbekanntes und junges Land wie Aserbaidschan eine Chance, als Gastgeber eines solchen Großereignisses in Erscheinung zu treten. Doch die Europaspiele dienen nicht den Bürgern, sondern einzig dem Ehrgeiz eines unterdrückerischen Regimes und der Ignoranz der internationalen Sportgemeinschaft. Wenn Sport politischen Ambitionen dient und dabei fundamentale Rechte verletzt, überschattet dieses politische Element alles andere.


Es gibt zwei Aserbaidschans

Für den Westen mag es schwer nachvollziehbar sein, warum ein Sportereignis wie die Europaspiele den Bürgern Aserbaidschans regelrecht schadet. Das Regime in Baku steht jedenfalls mit so großer Leidenschaft hinter den Spielen, dass es den Athleten aus 50 Ländern sogar die Anreise und Unterkunft bezahlt.

An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass es zwei Aserbaidschans gibt. Einerseits ein modernes, wohlhabendes, entwickeltes, pro-westliches Aserbaidschan mit Wolkenkratzern und modernen Stadien, das die Regierung schon mit dem European Song Contest vor drei Jahren der Welt präsentierte. Und dann gibt es das andere Aserbaidschan, in dem weder Gesetze gelten noch die grundlegenden Bedürfnisse der Bürger erfüllt werden.

Aserbaidschan erschien erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf der Landkarte. Zu Beginn herrschten noch Euphorie und Hoffnung, dass die Bevölkerung von seinen Öl-Ressourcen profitieren würde. Doch entgegen dieser Erwartungen ist das System der neuen Regierung nicht besser als das sowjetische. Die Regierung der Familie von Staatspräsident Ilham Alijew regiert das Land seit 1993. Sie hat in diesen Jahren ein Regime aufgebaut, das alle Kritiker mundtot macht, in dem es sie drangsaliert oder ins Gefängnis bringt. Und mit der Austragung von Mega-Ereignissen wurden die Machthaber noch aggressiver gegenüber ihren Kritikern.


Je mehr Wohlstand, desto weniger Demokratie

Auch die Milliarden, die seit den 1990er Jahren durch den Verkauf des Öls in die Staatskassen fließen, kommen nicht den Bürgern zugute, sondern wenigen einflussreichen Familien, die im Luxus leben. Und obwohl der Ölboom der vergangenen Jahre dem Land mehr Arbeitsplätze verschaffte als in den Nachbarländern Georgien und Armenien, stieg der Lebensstandard nicht nennenswert an. Das liegt an der grassierenden Korruption, dem fehlenden Rechtsstaat und den vielen Menschenrechtsverletzungen, die in Aserbaidschan an der Tagesordnung sind.

Je wohlhabender das Regime in Baku wurde, desto unterdrückerischer wurde es. Das Geld aus dem Staatshaushalt floss in spektakuläre Brücken, Museen und Veranstaltungshallen in der Hauptstadt Baku. Mit dieser Politik wollte die Regierung seine Bürger und die Welt beeindrucken und ihnen beweisen, dass sich das Land entwickelt. Allein zu diesem Zweck musste bald ein noch größeres, internationaleres Ereignis her.

Mit der Austragung des European Song Contests im Jahr 2012 gelang es Aserbaidschan tatsächlich, international bekannt zu werden. Doch nicht ganz so, wie es sich das Regime vorgestellt hatte. Denn Journalisten, Organisationen und Aktivisten im Land versuchten, die Welt auf die Missstände aufmerksam zu machen. In westlichen Medien erschien Aserbaidschan als Regime, das alles tut, um die Welt zu beeindrucken, aber seine eigenen Bürger nicht achtet. Auch internationale Organisationen kritisierten die Alijew-Regierung für die Verletzung von Menschenrechten und dem Missbrauch ihrer Öl-Einnahmen.


Die Lektion aus dem ESC gelernt

Drei Jahre später hat Präsident Alijew die Lektion gelernt. Er hat im Vorfeld der Europaspiele alle kritischen Stimmen mundtot gemacht. Das vergangene Jahr war das repressivste seit der Unabhängigkeit Aserbaidschans im Jahr 1992. Prominente Gegner des Regimes wurden eingesperrt oder mit Phantasieanklagen eingeschüchtert. Dutzende verließen auf der Flucht vor Verfolgung das Land. Die Anklagen lauteten für gewöhnlich Landesverrat, Wirtschaftskriminalität oder Steuerflucht, für die es gewöhnlich acht bis zehn Jahre Gefängnis gibt. Kritiker sehen eine klare politische Motivation hinter dieser Anklagewelle.

Dass ein Land, dessen Gesundheits- und Bildungssystem am Kollabieren ist, Milliarden für ein Sportereignis ausgibt, scheint ironisch. Der Wirtschaft bringen die Spiele jedenfalls nichts. Wegen seiner abgeschiedenen Lage ist es auch unwahrscheinlich, dass Massen von Fans und Touristen nach Aserbaidschan reisen werden. Und für die Teilnehmer sind die meisten Dienstleistungen ohnehin kostenlos. Allein 500 Gratis-Taxen stehen am Flughafen und in der Stadt für sie bereit. Kleine und mittlere Unternehmen werden also überhaupt nicht von dem Ereignis profitieren.


Sinkender Ölpreis, schwache Währung

Hinzu kommt, dass die Spiele in einer Zeit stattfinden, in der sich die wirtschaftliche Lage Aserbaidschans drastisch verschlechtert. Wegen des sinkenden Ölpreises ist die Währung im Februar um ein Drittel abgewertet worden. Viele Bürger fragen sich, warum die Regierung in dieser Situation Unsummen für ein Sportereignis ausgibt. Doch sie ignoriert diese Bedenken und hält an der perfekten Austragung der Spiele fest.

Und es geht weiter mit den Mega-Events: 2016 trägt Aserbaidschan die Formel 1 aus und ein Jahr später die „Islamischen Solidaritätsspiele“, eine Art Olympia der islamischen Welt. Die Besessenheit für Großveranstaltungen dient nicht dem Sport, sondern einzig und allein der Pflege des – ohnehin schon beschädigten – Images.

Wegen Aserbaidschans energiepolitischer Bedeutung halten sich westliche Politiker meist zurück mit Kritik. Oft mit der Ausrede, dass Sport nicht Politik sei. Auch internationale Sportfunktionäre rechtfertigen ihre Unterstützung der Europaspiele mit der Behauptung, der Sport solle sich nicht in die Politik einmischen.


Achtung vor der olympischen Idee

Doch es gibt auch ethische Pflichten. Die Internationalen und Europäischen Olympischen Komitees sollten sich verantwortlich für das Wohlergehen einer Gastgebernation fühlen oder zumindest darauf achten, dass Sportereignisse der Bevölkerung nicht schaden. Obwohl die Europaspiele nicht Olympia sind, gelten für sie doch dieselben selbstgesteckten Ziele, nämlich „den Sport in den Dienst einer sich harmonisch entwickelnden Menschheit zu stellen, mit Blick darauf, eine friedliche Gesellschaft zu entwickeln und die Menschenwürde zu wahren“.

IOC und EOC sollten sensibel sein für die politische Situation in einem Gastgeberland. Sport ist schön, aber es gibt wichtigere Dinge, um die sich jede Regierung kümmern muss, bevor sie den Sport fördert.

Aus dem Englischen von Sonja Volkmann-Schluck, n-ost


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