Lettland

Baltikum: Bereit zu kämpfen

Julia Krizinauskaite strahlt, als sie von ihrer Einberufung in die lettische Armee erzählt. Endlich habe sie den ersehnten Brief erhalten. Im Herbst darf die Gefreite nun mindestens einen Monat lang wieder die lettische Uniform tragen. Sie ist eine von 300 Reservisten, die zur Unterstützung der lettischen Verteidigung mobilisiert wurden. Die 35-Jährige will während der Übung als Funkerin alles geben. „Wir sind bereit zu kämpfen“, sagt sie.

Aus Angst vor Russland rüsten Lettland, Litauen und Estland ihre kleinen Armeen massiv auf. Denn immer wieder demonstriert Präsident Putin im Baltikum mit militärischen Drohgebärden seine Macht. Erst vor zwei Wochen kreuzte ein russisches Kriegsschiff vor der lettischen Küste – zeitgleich zum EU-Gipfel in der Hauptstadt Riga. Am Mittwoch nun machte die Saeima, das lettische Parlament, bei den turnusmäßigen Präsidentenwahlen den bisherigen Verteidigungsminister Raimonds Vejonis zum neuen Staatsoberhaupt. „Meine oberste Priorität ist die innere und äußere Sicherheit“, kündigte Vejonis an.


Erinnerung an russische Panzer

Die Angst vor Russland sitzt in den baltischen Ländern tief. Gerade 24 Jahre ist es her, dass sich die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen ihre Unabhängigkeit von Moskau erkämpften. Die Sowjetunion hatte die baltischen Länder 1940 besetzt und sich nach dem Zweiten Weltkrieg einverleibt. Nur zu gut erinnern sich die Balten an den Januar 1991, als Moskau ihren Freiheitswillen mit Panzern brechen wollte.

Unterstützung bekommen die Balten von den USA und von der Nato. Vor drei Monaten verfolgten sie die Anlieferung von 100 US-Panzern und weiteren Rüstungsgütern im Hafen von Riga. Kriegsgerät, das zur Ausbildung dient und auf alle drei baltischen Länder verteilt wurde.

Als Abschreckung gegenüber Russland werden auch die gut 3.000 Nato-Soldaten verstanden, die als „schnelle Eingreiftruppe“ die Streitkräfte Lettlands, Estlands und Litauens derzeit am Boden, im Luftraum und auf der Ostsee unterstützen. Ab 9. Juni werden auch Nato-Truppen aus Deutschland ins Baltikum reisen, um sich an einer militärischen Großübung zu beteiligen. Allein 20 Kriegsschiffe werden dann auf der Ostsee den Verteidigungsfall proben.


Mehr Nato soll es im Baltikum nicht geben

„Zum ersten Mal seit unserem Beitritt zur Nato vor zehn Jahren fühlen wir uns als vollwertige Mitglieder“, sagt der lettische Politikwissenschaftler Andris Sprudz. Dennoch fordern die Balten noch mehr Nato-Präsenz. „Wir haben Angst, dass die schnelle Eingreiftruppe bei einer russischen Invasion 24 Stunden benötigt, um zu reagieren – das würde zu lange dauern“, meint der litauische Politikwissenschaftler Girnius Kestutis. Die Nato-Partner allerdings winken ab. Eine dauerhafte Verlegung von Kampftruppen haben sie bereits auf ihrem Gipfel in Wales abgelehnt, um eine weitere Konfrontation mit Russland zu vermeiden.

Dafür signalisieren die Regierungen im Baltikum ihren Wählern mit allen Mitteln, dass sie sich um deren Sicherheit kümmern. Allein Estland hat kürzlich 44 Schützenpanzer gekauft und will in Zukunft seine Grenze mit Drohnen kontrollieren. Litauen führt ab Herbst die Wehrpflicht und das Fach „patriotische Erziehung“ an den Schulen ein. Das Verteidigungsministerium gibt seit neuestem sogar ein Handbuch mit Tipps für den Angriffsfall heraus.

Besorgt sind die Balten auch, dass die Annexion der Krim durch Russland auch in ihren Ländern Schule machen könnte. Jeder dritte Bürger in Lettland und Estland kommt ursprünglich aus Russland, sogar der Bürgermeister von Riga ist russischer Abstammung. Der Großteil dieser Minderheit beherrscht keine baltische Sprache, sondern lebt in einer Art Parallelwelt mit eigenen Schulen und Medien.


Ein neuer Sender auf Russisch

Doch obwohl die meisten Russen gegen eine Stationierung der Nato im Baltikum sind, schätzen sie Umfragen zufolge dennoch ihr Leben in der Europäischen Union. Die baltischen Regierungen wollen nun mehr in die Integration der russischen Minderheit investieren. Ein erster Schritt soll ein Fernsehprogramm in russischer Sprache sein, dass der estnische öffentlich-rechtliche Sender ERR für vier Millionen Euro starten wird.

Um sich gegen mögliche Angriffe aus Russland zu wappnen, müssten die Baltischen Länder vor allem selbst mehr in ihre Verteidigung investieren, sagt der litauische Verteidigungsminister Juozas Olekas. Während Estland bereits heute zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in seine Streitkräfte steckt, bringen Lettland und Litauen bisher weniger als ein Prozent auf, wollen die zwei Prozent aber spätestens 2020 erreichen.


Weitere Artikel