Urteil gegen Roma-Mörder
Noch nie waren Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der postkommunistischen ungarischen Gesellschaft so verbreitet wie derzeit – dies ist das Ergebnis einer neuen repräsentativen Untersuchung des Budapester Tarki-Institutes, die letzte Woche veröffentlicht wurde. Neben Arabern sind in Ungarn vor allem Roma verhasst – mehr als 80 Prozent der Befragten äußerten sich negativ über sie.
Wie ein Beleg für die Untersuchungsergebnisse wirkte wenige Tage später das Ende des so genannten Roma-Mörder-Prozesses: Am vergangenen Freitag verkündete das Budapester Berufungsgericht die Urteile gegen die rechtsterroristischen Roma-Mörder – bei weitgehendem Desinteresse der Öffentlichkeit. Eine Gruppe von Rechtsterroristen hatte in den Jahren 2008 und 2009 sechs zufällig ausgewählte Roma erschossen und 55 weitere Menschen, ebenfalls fast alle Roma, zum Teil schwer verletzt – ein in der ungarischen Nachkriegsgeschichte beispielloses rassistisches Verbrechen. Dafür wurden drei der Täter im August 2013 erstinstanzlich zu lebenslänglicher Haft ohne die Möglichkeit einer Entlassung verurteilt, ein Komplize erhielt 13 Jahre Haft.
Die Berufungsinstanz bestätigte nun am Freitag die Urteile. Im Falle des Komplizen Istvan Csontos, der bei zwei Morden als Chauffeur gedient hatte, ist es rechtskräftig, die drei anderen Angeklagten, die Brüder Arpad und Istvan Kiss sowie Zsolt Petö, legten nach der Urteilsverkündung bei der Kurie, Ungarns Oberstem Gericht, Beschwerde ein. Die Kurie wird allerdings nichts am Urteil ändern, sondern den Prozess der beiden Instanzen lediglich auf Formfehler untersuchen.
Parallelen zu NSU-Morden
Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde vor halbvollem Saal verlesen, nur wenige Journalisten waren anwesend. „Das Interesse war zurückhaltend und eingeschränkt“, sagt der liberale Politiker Jozsef Gulyas, der 2009 und 2010 Mitglied eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Roma-Morden war und sich zusammen mit einer Gruppe von Bürgerrechtsaktivisten um die Überlebenden der Mordserie und ihre Angehörigen kümmert. Sie leben fast ausnahmslos in großer Armut und konnten es sich deshalb nicht leisten, zur Urteilsverkündung in die ungarische Hauptstadt zu fahren. Ein Transportangebot des ungarischen Staates an die Überlebenden gab es nicht.
Und das, obwohl ungarische Behörden eine Mitschuld an den Roma-Morden trifft – ähnlich wie bei den NSU-Morden in Deutschland: Hätten Ermittler nicht geschlampt und Geheimdienste ihre Erkenntnisse über die Roma-Mörder weiter gegeben, hätten die beiden letzten Morde im April und im August 2009 möglicherweise verhindert werden können. Erst nach starkem Druck von Bürgerrechtsaktivisten erhielten die Überlebenden der Mordserie und die Angehörigen im Frühjahr letzten Jahres geringfügige Entschädigungen. Doch die meisten haben seit den Morden nicht mehr in ein normales Leben zurückgefunden, sie leben in tiefem Elend und nahezu vergessen von der Öffentlichkeit.
„Die ungarische Gesellschaft betrachtet die Morde als Problem der Roma“, fasste der Soziologe Janos Zolnay diese Haltung kürzlich in einem Interview des Fernsehsenders RTL-Klub zusammen. So etwa ist die Ansicht verbreitet, es seien zwar unschuldige Roma ermordet worden, insgesamt hätten Roma jedoch einen Hang zu krimineller Lebensweise; in diesem Kontext seien auch die Roma-Morde zu verstehen.
Staat setzt keine Zeichen
Der ungarische Staat hat gegen solche Einstellungen keine symbolischen Zeichen gesetzt. Anders als beispielsweise im Falle der NSU-Morde gab es in Ungarn keine öffentliche Gedenkfeier für die Opfer unter Beteiligung des Staats- oder Regierungschefs. Zugleich sind noch viele Fragen zu den Roma-Morden offen, wie Jozsef Gulyas konstatiert. „Es gab mindestens noch einen Mittäter und möglicherweise Unterstützer und Finanzierer, von denen wir nichts wissen“, so Gulyas. „Die Behörden haben auf diese Fragen bisher keine Antworten gegeben.“
Renata Jakab war die einzige Überlebende der Roma-Mordserie, die bei der Urteilsverkündung am vergangenen Freitag in Budapest anwesend war – sie hatte ihre Anreise aus dem Dorf, in dem sie lebt, selbst organisiert. Im Februar 2009 waren ihr Mann Robert und ihr vierjähriger Sohn Robi erschossen worden, als sie aus ihrem brennenden Wohnhaus flüchteten, das die Mörder zuvor angezündet hatten. Renata Jakab und ihre Tochter Bianca überlebten. „In den letzten Jahren hat das Interesse an dem Thema immer mehr nachgelassen“, sagt Renata Jakab. „Das ist traurig, aber so ist es leider.“