Kampf den Bikern
Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist die nationalistisch gesinnte, russische Motorradgruppe „Nachtwölfe“. Die Putin-nahen Biker planen bereits seit Wochen, in einem 20-köpfigen Korso quer durch Polen und Tschechien bis nach Berlin zu fahren, um dort am 9. Mai dem Sieg der Sowjetunion über den Nationalsozialismus zu gedenken. Unterwegs wollten die Biker rund um Gang-Chef Alexander Saldostanow an etlichen Orten, darunter in Warschau und Auschwitz, Halt machen und Kränze niederlegen.
Doch nicht nur Polen und Deutschland machen ihnen einen Strich durch die Rechnung. Beide Länder hatten bereits Ende vergangener Woche beschlossen, Mitgliedern des Clubs die Einreise zu verweigern. Gleichwohl haben es einzelne Biker inzwischen wohl geschafft, die Grenze nach Polen zu passieren.
Auch Litauen hat den Nachtwölfen ein Einreiseverbot erteilt. An der Grenze zwischen Litauen und Belarus sowie der russischen Enklave Kaliningrad sind seit Mittwoch acht Motorradfahrer des Biker-Clubs abgewiesen worden. Die Begründung in Litauen lautete wie auch in Polen: keine gültigen Papiere.
Vorgeschobene Argumente
Dass die Argumentation vorgeschoben scheint, darauf deuten Aussagen führender Politiker. Die „Siegesfahrt“ der Nachtwölfe sei eine „Demonstration und politische Provokation“, sagte Polens Außenminister Grzegorz Schetyna am Mittwoch.
Indes wird die Blockadehaltung von russischen Staatsmedien sowie der Moskauer Regierung aufgegriffen. Das russische Außenministerium schrieb in einer Reaktion, Moskau sei empört darüber, dass Biker, die sowjetischer Kriegsopfer gedenken wollten, nicht ins Land gelassen würden. „Polen will die Geschichte neu schreiben und jenen die Verdienste nehmen, die Polen und die Welt von Nazismus befreit haben“, heißt es in der Erklärung. Gang-Chef Saldostanow sagte bei einer Pressekonferenz, die Abweisung „könnte übel enden“.
Tatsächlich sind die Biker alles andere als zahme Lämmer. Mitglieder des rund 5.000 Personen zählenden Clubs unterstützten zum Teil aktiv die Krim-Annexion und die prorussischen Kräfte in der Ostukraine. Doch ob von einigen Dutzenden Motorradfahrern bei einer Durchfahrt durch Polen, Deutschland und andere EU-Länder eine mögliche „Gefahr für die Sicherheit“ ausgeht, wie die deutsche Bundesregierung erklärt, ist fraglich.
So haben bereits am Wochenende rund 200 russische Motorradfahrer der Kaliningrader Nachtwölfe im nordpolnischen Braniewo an einer Gedenkveranstaltung teilgenommen. Sie gedachten dort gemeinsam mit anderen Russen, aber auch Vertretern der polnischen Regionalverwaltung der dort im Zweiten Weltkrieg gefallenen Sowjetsoldaten. Die Gedenkfeiern finden bereits seit 2010 jährlich statt, zu Zwischenfällen ist es auch diesmal nicht gekommen. Die Biker hatten die Grenze nach Polen problemlos passiert.
Zu viel Geltung für die Gang
Und dennoch: Der diffuse Unwille in Teilen der Bevölkerung Polens und Litauens, die Biker samt Sowjetfahnen durch ihre Länder reisen zu lassen, ist durchaus nachvollziehbar. Bis heute sehen viele Menschen in beiden Ländern das Ende des Zweiten Weltkrieges auch als den Beginn einer neuen Besatzung. Dies gilt für Litauen noch mehr als für Polen. Denn der baltische Staat wurde 1944 endgültig als Sowjetrepublik der UdSSR einverleibt, während Polen als Satellitenstaat Moskaus immerhin seine Staatlichkeit bewahren konnte.
Diese antisowjetischen und zuletzt antirussischen Ressentiments, die sich seit dem Ukraine-Konflikt massiv verstärkt haben, macht sich die Politik offenbar kalkuliert zu Nutze. Daher vermuten Beobachter hinter den Ereignissen rund um die Nachtwölfe politisches Kalkül – in Warschau und in Moskau, wie etwa der polnische Publizist Jacek Zakowski konstatiert. „Beide Seiten haben das erreicht, was sie wollten: politische Punkte gesammelt, ihre Position im Land gestärkt und ihre Gesellschaften im sich verschärfenden Konflikt mobilisiert.“ Und sie haben einer fragwürdigen Motorradgang jene Geltung verschafft, die den sowjetischen Opfern des Zweiten Weltkrieges zuteilwerden sollte.
Unser Autor Jan Opielka findet, dass man die Biker fahren lassen sollte. Seinen Kommentar und Stimmen dazu in anderen europäische Medien auf eurotopics, der europäischen Presseschau.