Europäische Union

Fahren oder nicht fahren?

Fahren oder zuhause bleiben? Das war in den letzten Wochen in osteuropäischen EU-Staaten, vom Baltikum bis Bulgarien, die entscheidende außenpolitische Frage für Staats- und Regierungschefs: Soll man die Einladung des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin annehmen und am 9. Mai, anlässlich der Feier zum 70. Jahrestag des Sieges über den Hitler-Faschismus, nach Moskau reisen – oder nicht?

Estland, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien hatten die Frage bereits frühzeitig beantwortet – ihre Staats- und Regierungschefs werden nicht nach Moskau fahren. In Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Bulgarien dauerte die Debatte länger, zum Teil bis in die letzten Tage und verlief nicht ohne innenpolitische Kontroversen. Das Ergebnis: Der tschechische Staatspräsident Milos Zeman und der slowakische Regierungschef Robert Fico werden nach Moskau fahren. Sie gehören damit zusammen mit Griechenland und Zypern zur kleinen Gruppe der EU-Staaten, die an Putins Siegesfeier in Moskau teilnimmt. Ungarns Staatschef Janos Ader hingegen hat seine Teilnahme nach langem Zögern abgesagt, auch Bulgariens Staatsoberhaupt Rossen Plewneliew fährt nicht nach Moskau.

Dabei ist die Konstellation der Entschlossenen und der Zauderer keine zufällige: Die Länder der ersten Gruppe gehören zu den schärfsten Kritikern des russischen Staatspräsidenten Putin und seiner Annexionspolitik in der Ukraine. Sie befürchten russische Destabilisierungsaktionen oder sogar russische Aggressionen auf ihrem eigenen Territorium und befürworten daher innerhalb der Europäischen Union antirussische Sanktionen am konsequentesten.


Tschechien und Slowakei in Reisestimmung

Anders Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Bulgarien: Sie verfolgen einen mehr oder weniger Russland-freundlichen Kurs und tragen die antirussischen Sanktionen nur skeptisch bis widerwillig mit. Die Folge dieser Konstellation sei eine „Krise in der Kooperation der osteuropäischen Staaten untereinander“, so der polnische Politologe Marcin Zaborowski vom Polnischen Institut für internationale Politik (PISM). „Putins Einladung zum 9. Mai hat besonders in Mittelosteuropa zu Meinungsverschiedenheiten geführt. Einige Staaten biedern sich bei Putin an und hoffen, daraus einen Vorteil zu schlagen“, sagt Zaborowski mit Blick auf Tschechien, die Slowakei und Ungarn.

In Tschechien und der Slowakei, erläutert der Politologe Marek Rybar von der Comenius-Universität in Bratislava, gebe es jeweils eine beträchtliche Wähleranzahl mit antiwestlicher, EU-skeptischer und pro-russischer Einstellung, ihrer Stimmung würden Politiker wie Zeman oder Fico mit ihrem Moskau-Besuch Rechnung tragen. „Allerdings ist das Bild durchaus komplex“, so Rybar. „In beiden Ländern hat es große Kontroversen um die Teilnahme an der Moskauer Siegesfeier gegeben.“ In Tschechien löste Zemans geplanter Moskau-Besuch einen Streit mit der Regierungskoalition aus, in der Slowakei wiederum tragen der Regierungschef Robert Fico und der Staatspräsident Andrej Kiska bereits seit längerem einen Konflikt über die Frage der Russland-Politik aus. Kiska hatte einen Moskau-Besuch bereits vor Wochen ausgeschlossen.

Am eindeutigsten pro-russisch ist Ungarns Politik: Wladimir Putin reiste im Februar dieses Jahres zu einem Besuch nach Budapest, bereits letztes Jahr hatte Ungarns Regierungschef Viktor Orban mit Putin einen 10-Milliarden-Euro-Kreditvertrag zur Erweiterung des Atomkraftwerkes Paks um zwei Blöcke abgeschlossen. „Öffnung nach Osten“, nennt Orban diese Politik. Dass der ungarische Staatspräsident Janos Ader dennoch nicht nach Moskau reist, erklärt der Politologe Attila Juhasz vom Budapester Institut Political Capital damit, dass sich Ungarn als EU-Mitglied im russisch-ukrainischen Konflikt „übertrieben Putin-freundlich“ gezeigt habe. „Besonders Putins Budapest-Besuch wurde international sehr schlecht beurteilt“, so Juhasz, „das kompensiert Ungarn jetzt, indem es beispielsweise am militärischen Kampf gegen den IS teilnimmt oder indem der Staatspräsident doch nicht nach Moskau fährt.“


Gespaltenes Osteuropa

Doch die Frage „Nach Moskau fahren oder nicht“ hat auch die außenpolitischen Konstellationen außerhalb der EU durcheinandergebracht. So wird der eigentlich Russland-treue weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko nicht an der Moskauer Siegesparade teilnehmen – ihm ist Putins Ukraine-Politik nicht geheuer. Auch Montenegros lange Zeit pro-russisch eingestellter Regierungschef Milo Djukanovic wird nicht nach Moskau fahren – der EU-Kandidat Montenegro wünscht sich einen schnellen Beitritt zur Union. Anders im Fall Serbien, das ebenfalls einen EU-Beitritt anstrebt, aber Russlands treuester Verbündeter auf dem Balkan ist: Seit langem steht fest, dass der serbische Staatspräsident Tomislav Nikolic zur Siegesfeier nach Moskau reisen wird.

Das Fazit des polnischen Politologen Marcin Zaborowski: Zwar hätten die EU und einige Kandidatenländer in der Sanktionsfrage bisher zusammengehalten. „Aber in gewisser Hinsicht ist es Putin gelungen, vor allem Osteuropa, aber auch die Europäische Union zu spalten. Die Chance, dass zumindest osteuropäische Länder einheitlich gegenüber Russland auftreten, ist längst vertan.“

Zur Debatte über das Weltkriegs-Jubiläum auf eurotopics, der europäsichen Presseschau.


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