„Die Zentralasiaten müssen auf bestimmte Rituale verzichten“ / Interview mit der SPD-Abgeordneten Hedi Wegener
Gerhard Schröder war der erste deutsche Bundeskanzler auf Staatsbesuch in Kasachstan. Wie schätzen Sie diese Visite für die zukünftigen Beziehungen der beiden Länder ein?
Wegener: Ich finde, dass der Kanzler ein ganz deutliches Signal gesetzt hat. Er hat zum Beispiel hier in Kasachstan übernachtet. Er ist also nicht einfach morgens angekommen und abends wieder weggefahren, sondern er ist richtig hier geblieben. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist er abends noch zu einem Gläschen nach Hause eingeladen worden, was ja zeigt, dass Schröder und Nasarbajew einen Draht miteinander gefunden haben, dass sie sich einfach mochten, ansonsten lädt man nicht nach Hause ein. Das finde ich schon eine gute Sache. Gerhard Schröder weiß das bestimmt erstens zu schätzen und zweitens um die Bedeutung von Kasachstan. Kasachstan ist ein ganz wichtiges Land für die Stabilität in der Region. Und ich glaube, dass hat der Kanzler mit dem Besuch zum Ausdruck gebracht.
Die während des Staatsbesuchs geschlossenen wirtschaftlichen Abschlüsse belaufen sich insgesamt auf rund eine halbe Milliarde Euro. Ist dies der erste Schritt hin zu einem verstärktem wirtschaftlichen Engagement Deutschlands hier in Kasachstan?
Wegener: Der Kanzlerbesuch ist kein Anfang, sondern ein Weitermachen. Es gibt ja schon gute wirtschaftliche Beziehungen, die im Übrigen auch intensiviert und hergestellt werden durch die Deutsch-Kasachen, die ja in Deutschland leben, zum Teil mit ihren Unternehmen zurückgekommen sind, oder hier Geschäfte machen. Wenn ich das so vergleiche mit der Politik von vor zwei oder drei Jahren, als ich hier war mit der Parlamentariergruppe, da wollten die Kasachen, dass die Deutschen bleiben, taten aber relativ wenig dafür, dass sie sich hier wohl fühlen, dass sie das Gefühl haben, wir können auch unsere Minderheitenkultur leben. Ich habe jetzt das Gefühl, dass sich das geändert hat und dass die Kasachen einsehen: "wir hätten viele Vorteile, wenn die Deutsch-Kasachen hier bleiben und mit uns Geschäfte machen: Sie kennen unsere Mentalität, sie kennen unsere Sprache, sie kennen sich hier in der Region einfach aus." Aus diesem Grunde ist die deutsche Bevölkerungsgruppe für die Kasachen sehr wertvoll, was die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland betrifft. Und dann haben die Deutschen hier handfeste wirtschaftliche Interessen, angefangen davon, Know-How zu schicken, aber auch Bekleidung, Autos etc.
Fragen von Demokratisierung und Menschenrechtsschutz spielen ja zumindest den Worten nach in der Außenpolitik eine große Rolle. Kam dieses Thema zur Sprache in den Gesprächen zwischen dem Kanzler und Nasarbajew, zumal es in der Region ein drängendes Problem ist?
Wegener: Wir haben als Parlamentarier ein Gespräch gehabt mit den kasachischen Parlamentariern, und dann gab es noch ein Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und Präsident Nasarbajew und den Parlamentariern auf beiden Seiten. Der Kanzler hat in sehr diplomatischer Art und Weise durchaus auf Fragen von Minderheiten- und Menschenrechten hingewiesen; und wir als Parlamentarier thematisieren das sowieso ständig und immer wieder. Die zentralasiatische Region ist ja gerügt worden vom Europaparlament und ich glaube, das hat hier einige wach gerüttelt. Auch wenn sie sich gegen die Kritik verteidigen, bleibt vielleicht doch etwas hängen, dass sie merken: ‚Wenn andere so über uns denken, dann ist vielleicht etwa Wahres dran und wir müssen vielleicht etwas ändern.’ Eine viel behauptete Entschuldigung ist dabei, dass andere Länder viel schlimmer seien. Man zeigt gerne auf die, die es noch schlechter machen, das ist aber kein guter Ratgeber.
Auf wen wird da mit dem Finger gezeigt?
Wegener: Auf andere Länder der Region: Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan.
Die interregionale Zusammenarbeit ist ein großes Problem in Zentralasien. Frommen Wünschen nach einer Kooperation gemäß dem Modell der Europäischen Union steht eine völlig andere Realität gegenüber: Usbekistan vermint die Grenzen im Fergana-Tal und hat die Landgrenze zu Kasachstan geschlossen, Tadschikistan unterbricht die Wasserzufuhr nach Usbekistan etc. Wie sehen Sie unter diesen Bedingungen die Zusammenarbeit zwischen den fünf Republiken?
Wegener: Die Kasachen müssen die Erfahrung machen, dass es anders nicht geht. Sie müssen auf bestimmte Riten und Rituale verzichten. Wenn sich international zusammengesetzte Gruppen aus Zentralasien treffen, dann gibt jede Gruppe für sich ein Statement ab, ohne eigentlich zu hören, was die anderen gesagt haben, ohne darauf einzugehen. Und alle loben erst einmal ihren Präsidenten. Also ich gehe nicht auf eine Konferenz, um erst einmal den Kanzler zu loben. Wir sind Regierung und haben Verantwortung und wir sind gut. Und wenn wir nicht mehr so gut sind, werden wir abgewählt. So einfach ist das bei uns. In den zentralasiatischen Ländern wird dagegen erst einmal ein Programm abgespult: Wir loben unser Land, wir loben unseren Präsidenten. Das mag vielleicht 12 Jahre lang gut gewesen sein für die Seele des einzelnen und für die Wiedergewinnung der eigenen nationalen Identität, aber nun müssen sie auch über ihre Grenzen hinaus gucken, sonst bekommen sie die Probleme in dieser Region nicht geregelt.
Zentralasien ist ja seit dem 11. September im Gespräch und auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Generell werden die Gefahren, die von externen Faktoren ausgehen – Drogen, Islamismus etc. – immer besonders unterstrichen, während interne Faktoren der Instabilität – soziale Probleme etc. - zum Teil ausgeblendet bleiben. Wie sehen Sie das als Vorsitzende der Parlamentariergruppe Zentralasien?
Wegener: Kasachstan ist von den islamistischen Tendenzen nicht so bedroht wie die angrenzenden Länder. Das ist schon richtig. Aber Kasachstan war schon immer ein Land, das multi-kulti mit seinen Ethnien umgegangen ist, dazu waren sie hier gezwungen mit ihren über 100 Ethnien, die miteinander immer in Frieden gelebt haben. Etwas anderes ist die Frage, ob im Windschatten der Terrorismusdiskussion jetzt insgesamt die Zügel angezogen werden - innenpolitisch und sicherheitspolitisch in Form von Überwachung etc. Diese Gefahr besteht, und da ist es in einem zentralistischen Staat natürlich anders als in einer gefestigten Demokratie wie der Bundesrepublik. Aber trotzdem muss ein Land auch aufpassen, dass es nicht vereinnahmt oder als instabiler Staat unterwandert wird. Und dazu gehört zum Beispiel das Drogenproblem. Das ist ein Riesenmarkt, ein gefährlicher, korrupter Markt, und wenn so etwas Überhand gewinnt, dann ist die Nahtstelle zwischen politischem Terrorismus, Kriminalität und Geschäften ganz, ganz schmal. Da ist Kasachstan gut bedient, zum Beispiel was den Terrorismus betrifft, auch durchzugreifen.
Und was ist mit der sozialen Frage?
Wegener: Armut ist auf der ganzen Welt das größte Fundament für Unruhen, Unzufriedenheit und extreme Ideen. Das ist hier in Kasachstan ganz genauso, und aus diesem Grund ist es natürlich sinnvoll, dass die Menschen an Bildung, Medien und Wohlstand teilhaben. Da liegt es hier noch im Argen, wenn ich Zahlen höre, wonach 80 % der Menschen in Kasachstan in Armut leben.
Wie sind ihre Kontakte nach Turkmenistan, das sich weitgehend politisch isoliert? Haben Sie Beziehungen zu turkmenischen Parlamentariern?
Wegener: Wir haben bisher wenig Kontakte zu den Parlamentariern in Turkmenistan, aber ich werde im Februar dorthin reisen. Wir werden uns im Vorfeld natürlich um Kontakte bemühen. Oppositionelle, die nicht im Land leben, haben sich mit mir in Deutschland in Verbindung gesetzt.
Findet diese Reise im Rahmen eines offiziellen Besuchs der Parlamentariergruppe statt?
Wegener: Nein, nein. Ich reise als Einzelperson auf Kontingent der Fraktion und versuche natürlich, NGOs und Regierungsvertreter, aber auch Parlamentarier zu treffen.
Werden Sie auch mit Präsident Niasow zusammentreffen?
Wegener: Die Deutsche Botschaft in Ashgabad ist mir behilflich bei den Kontakten, und ich vermute erst einmal nein, aber wir werden sehen.
In welchem der fünf zentralasiatischen Länder schätzen Sie die politische und sozioökonomische Situation als am instabilsten ein?
Wegener: Wissen Sie, ich würde nicht gerne die Länder gegeneinander ausspielen, das wird hier schon oft genug gemacht. Es wird immer gesagt: ‚Wir sind besser als die anderen.’ Es kommt immer auf die Perspektive an, die man hat. Es ist nicht klug und mir steht es auch nicht zu, Noten zu verteilen. Es gibt bemühtere und weniger bemühtere Staaten.
Welche wären das?
Wegener: Nun Kasachstan ist schon sehr bemüht, was die Kontakte betrifft, aber das ist Usbekistan auch. Kirgistan ist ein armes Land, und was deren Vermögen betrifft, sind die unglaublich bemüht. Aber sie sind auch begrenzt in ihren Ressourcen, sie haben nicht solche Schätze wie Kasachstan. Und wenn man solche Schätze hat wie Kasachstan, dann kann man groß tun und auf die anderen herabschauen. Auch die anderen Länder bemühen sich in ihrem Rahmen, und ich möchte eigentlich nicht spalten, indem ich sage: ‚Die machen es besser oder die machen es schlechter.’ Ich sehe Bemühungen auf allen Seiten in der Region.