„Es wird viel gelogen“
ostpol: Ihre Artikel beschäftigen sich häufig mit gesellschaftlich-politischen Themen aus der Ukraine. Sie berichten eher selten direkt von der Frontlinie. Warum nicht?
Jutta Sommerbauer: Das hat mehrere Gründe. Ich sehe mich nicht in erster Linie als Kriegsberichterstatterin an vorderster Front. Dafür fehlt mir die notwendige Ausrüstung und professionelle Vorbereitung in Sicherheitsfragen. Der Krieg spielt sich außerdem nicht nur an der Frontlinie ab, sondern auch dahinter: Mir geht es darum, Geschichten aus dem Kriegsgebiet zu erzählen. Daher interessiert mich persönlich viel mehr, wie der Alltag in so einem Gebiet noch funktionieren kann. Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Gesellschaft, auf die Versorgung mit Waren, auf Sozialleistungen oder die persönliche Sicherheit? Deutschsprachige Leser können sich oft nicht vorstellen, dass die Menschen dort noch zur Arbeit gehen.
Wie finden Sie Gesprächspartner und woher erhalten sie Ihre Informationen?
Sommerbauer: Neben den traditionellen Quellen wie Agentur- und Zeitungsberichte helfen oft Kollegen weiter. Mittlerweile findet man auch viel über die Sozialen Medien, zum Beispiel Aktivisten-Gruppen und Freiwillige, die die Kämpfer unterstützen. Die im Zuge der Maidan-Proteste entfachte Propaganda aus Russland hat außerdem die ukrainische Seite dazu veranlasst, mehr Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Es gibt mittlerweile einige staatliche und nicht-staatliche Stellen, die versuchen die Berichterstattung zu beeinflussen und Gesprächspartner zu vermitteln, wie etwa die offiziellen Pressestellen der Armee oder das Ukraine Crisis Media Center.
Wie vertrauenswürdig sind diese Stellen?
Sommerbauer: Das Ukraine Crisis Media Center wird unter anderem von europäischen Botschaften unterstützt. Das ist relativ verlässlich und ausgewogen. Es gibt jedoch Projekte, die versuchen, Gegenpropaganda oder Desinformation zu betreiben. Aber jeder, der schon länger aus der Region berichtet, sollte erkennen von welcher Seite die Informationen kommen.
Worin sehen Sie momentan die größten Probleme in der Ukraine-Berichterstattung?
Sommerbauer: Das erste große Problem ist, dass viele Medien keine Korrespondenten vor Ort haben. Dementsprechend gibt es nur wenige Berichte direkt aus Kiew und noch weniger aus dem Kriegsgebiet. Zweitens ist die Berichterstattung eher punktuell als kontinuierlich. Das liegt zum Teil auch daran, dass das Interesse der Leser stetig abnimmt.
Wenn man aus dem Donbass berichtet, hat man mit einer weiteren Problematik zu kämpfen: Man kann physisch nur auf einer Seite der Front sein. Je nachdem welche Seite das ist, sind bestimmte Informationen zugängig. Da wird viel gelogen. Oft stecken propagandistische Absichten dahinter. Eine verlässliche Berichterstattung ist nicht immer einfach. Wenn man sich unsicher ist oder bestimmte Fakten nicht verfügbar sind, sollte man das dem Leser jedoch auch so kommunizieren.
Golineh Atai hat in ihrer Dankesrede zur Journalistin des Jahres 2014 davon gesprochen, dass es oft Drohungen gegen Journalisten gibt, die über den Ukraine-Konflikt berichten. Empfinden Sie das ebenso oder haben es schon selbst erlebt?
Sommerbauer: Nein, Drohungen habe ich persönlich noch nicht erlebt. Ich bekomme allerdings häufig unfreundliche Leserbriefe oder Anrufe. Teilweise sind trollartige Zuschriften und Beschimpfungen auf Facebook dabei. Aber nichts, wovon ich mich in meiner persönlichen Sicherheit bedroht fühlen würde.
Ist die Arbeit für ausländische Journalisten in der Ukraine leichter als für ukrainische?
Sommerbauer: Ja, das trifft vor allem auf das Kriegsgebiet und die Krim zu. In den sogenannten Volksrepubliken nehmen ukrainische Journalisten noch immer ein sehr hohes persönliches Sicherheitsrisiko auf sich, wenn sie versuchen auf die andere Seite zu gelangen. Die ukrainischen Medien werden dort als Feindmedien betrachtet. Diese Restriktionen gelten für ausländische Journalisten nicht in dem Maße, obwohl auch hier einige auf einer schwarzen Liste stehen. Auf der Krim ist es für ukrainische Journalisten mittlerweile fast unmöglich geworden von dort zu berichten.
Was könnten Redaktionen hierzulande verbessern, vor allem mit Blick auf die Vertrauenskrise in die Medien in der Ukraine-Berichterstattung?
Sommerbauer: Man sollte wieder mehr in Reporter vor Ort investieren. Die Lösung kann eigentlich nur in einem professionellen, interessant gemachten Journalismus liegen: Man muss weg von den Schnellschüssen und schlecht recherchierten Geschichten hin zu einer besseren Qualität. Wenn uns bestimmte Leser dann immer noch nicht lesen wollen, kann ich ihnen auch nicht helfen.
Zur Person:
Jutta Sommerbauer ist seit 2004, den Anfängen von n-ost, Mitglied. Sie berichtete zunächst aus Bulgarien, wo sie von 2002 bis 2007 lebte. Seit Ende 2008 ist sie Redakteurin der Tageszeitung „Die Presse“ in Wien mit Schwerpunkt Osteuropa-Berichterstattung. Seit Beginn der Ukraine-Krise hat sie die Entwicklungen in Kiew, auf der Krim und im Donbass immer wieder vor Ort mitverfolgt.
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