Wenn Lenin fällt
„Für die ukrainische Heimat“, mahnt die Marmorplatte am Grab von Nikolai Watutin in Kiew. Ein Blumenkranz erinnert an die Verdienste des Sowjetgenerals, der 1943 die von den Deutschen besetzte Stadt zurückeroberte. „Wer weiß, wie lange das Denkmal hier noch stehen wird“, fragt Bogdan Michailenko, der mit seiner Freundin an der Statue vorbei schlendert.
Denn Anfang April hat das Parlament das „Gesetz gegen die Leugnung der kriminellen Natur der Sowjet- und Naziregime“ verabschiedet. Das Gesetz, das noch von Präsident Petro Poroschenko unterschrieben werden muss, verbietet kommunistische und nationalsozialistische Symbole gleichermaßen. Tritt es in Kraft, müssten hunderte Sowjetdenkmäler abgerissen, tausende Straßen sowie dutzende Städte umbenannt werden. „Symbole wie Hammer und Sichel werden verschwinden“, sagt der Abgeordnete Juri Luzenko, der für die Vorschrift stimmte. Auch das Schicksal der Watutin-Statue im Kiewer Marinskij Park ist ungewiss.
Schon jetzt reißen Nationalisten im ganzen Land Lenindenkmäler nieder – besonders in der Ostukraine. In Kramatorsk, Krementschuk und Kriwoi Rog fielen Mahnmale des Sowjetführers ebenso wie in Novomoskowsk oder Dnepropetrowsk. In Charkow stürzte das mächtige Lenin-Monument am Freiheitsplatz im September. Drei weitere Kommunistendenkmäler folgten vor zwei Wochen.
Lenin in ukrainischer Nationaltracht
Wo Lenin nicht stürzt, wird er seiner Symbolkraft beraubt. In Slowjansk haben Aktivisten eine Leninfigur in den Nationalfarben blau-gelb bemalt und in Saparosche trägt der Revolutionär nun eine ukrainische Nationaltracht.
In Russland aber sorgt das geplante Verbot von Sowjetsymbolen kurz vor dem 70. Jahrestag des Sieges für Empörung. Kiew wolle die Erinnerungen von Millionen Ukrainern auslöschen, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow.
Auch Historiker und Politologen aus Westeuropa, den USA und Kanada fordern von Präsident Poroschenko, das Gesetz in der Form nicht zu unterschreiben. Denn es enthält einen brisanten Paragrafen: In Zukunft wäre es verboten, auch das Erbe der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) zu schmälern oder deren Verdienst zu leugnen. Die UPA kämpfte im Zweiten Weltkrieg aufseiten der Deutschen gegen die Rote Armee und ermordete tausende Juden und Polen. Später wandten sich die Partisanen gegen die Wehrmacht. Sowjetgeneral Watutin, der in Kiew begraben liegt, wurde bei einem Attentat der UPA verwundet und erlag später seinen Verletzungen.
Abriss verursacht enorme Kosten
Poroschenko hat inzwischen angekündigt, das Gesetz prüfen zu lassen. Immerhin würde die Beseitigung des Sowjeterbes enorme Kosten und Bürokratie verursachen. In Saparosche müssten die Leninallee und der Leninbezirk umbenannt werden – ebenso Bezirke, Straßen und Plätze in anderen Städten. Möglicherweise müsste auch Dnepropetrowsk, benannt nach Funktionär Grigori Petrowski, einen neuen Namen bekommen. Dabei ist die Staatskasse leer, die Ukraine kann sich nur mit ausländischen Krediten über Wasser halten.
Politologe Dimitri Schulga verteidigt das Vorhaben dennoch. „Ich habe in Stockholm eine Kneipe mit dem Namen KGB gesehen und an der Universität Oxford eine Sowjetflagge. Im Westen versteht man nicht, dass diese Symbole einen totalitären Staat repräsentierten“, sagt er bei einem Treffen in Kiew. Bogdan Michailenko, der Ukrainer vor dem Watutin-Denkmal, meint: „Ich unterstütze kommunistische Ideen wie soziale Gerechtigkeit, aber Hammer und Sichel stehen für Diktatur und sollten verschwinden.“
Vor dem Jahrestag des Sieges bricht die Ukraine mit ihrer Sowjetvergangenheit und gedenkt mit neuen Symbolen dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Schon lange hat Kiew das Sankt Georgsband verstoßen, ein Symbol der Tapferkeit der Roten Armee. Denn das orange-schwarz-gestreifte Banner tragen die Separatisten in der Ostukraine. Stattdessen erinnert, so wie in Großbritannien, eine Mohnblume an den Sieg der Alliierten. Zudem wird der Siegestag nicht mehr wie in Russland am 9. Mai, sondern wie bei den Westmächten einen Tag früher gefeiert.
Gedenkstätten sollen erhalten bleiben
Der Abgeordnete Juri Luzenko bekräftigt, dass das Parlament die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg nicht antasten wolle. „Kriegsdenkmäler, Soldatenfriedhöfe und Gedenkstätten bleiben erhalten“, beteuert der Politiker. Auch Bogdan Michailenko ist gegen den Abriss des Watutin-Denkmals in Kiew. „Es stört doch keinen“, findet der Mann mit der Lederjacke.
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Quellen:
Treffen mit dem Politologen Dimitri Schulga in Kiew
Gespäche mit Bogdan Michailenko sowie dem Angeordneten Igor Popow
Bericht über das geplante Dekommunisierungsgesetz
Streit um das Watutin-Denkmal in Kiew