Transporteure gegen deutschen Mindestlohn
Warschau (n-ost) – Es ist schon lange her, dass es vor der deutschen Botschaft in Warschau Porteste gegeben hat. Doch in der vergangenen Woche machten rund 200 Lkw-Fahrer vor der Botschaft ihrem Ärger Luft. Mit gelben Warnwesten bekleidet, auf den in großen Lettern „Protest” geschrieben stand, belagerten sie das Botschaftsgebäude, das von Dutzenden Polizisten abgesichert wurde. Dabei überreichten sie einem Botschaftsvertreter eine Petition an Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Anlass für die Demonstrationen ist der deutsche Mindestlohn, der seit Wochen in Polen für Unmut sorgt. Ausländische Lkw-Fahrer, die in Deutschland unterwegs sind, sollen nach dem Willen der Bundesregierung den seit Jahresanfang geltenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde beziehen. Ein polnischer Fahrer verdient im Schnitt derzeit 5,30 Euro pro Stunde. Sollte Deutschland am Mindestlohn festhalten, befürchten sie den Bankrott, weil viele von ihnen vom lukrativen Business beim großen westlichen Nachbarn abhängig sind.
„Das ist der Dritte Weltkrieg!” schimpfte gar ein polnischer Lkw-Unternehmer vor der Botschaft. „Jetzt kommt Deutschland nicht mit seinen Panzern, sondern versucht es mit der Wirtschaft”, schrie der etwa 50-jährige Transporteur, der selbst mehrere Male pro Woche nach Deutschand fährt.
Die polnische Regierung hat bereits die EU-Kommission eingeschaltet. Berlin soll nun auf Anweisung aus Brüssel klären, inwieweit die Regelung mit EU-Recht vereinbar ist. Nun haben zwölf kleinere und mittlere polnische Lkw-Transportunternehmen beim Bundesverfassungsgericht Klage erhoben.
Die Bundesregierung hatte zwar auf massiven Druck der polnischen Regierung Ende Januar Zugeständnisse gemacht und die Regelung für den reinen Transitverkehr ausgesetzt. Doch das ist den polnische Truckern zu wenig: Sie wollen auch dann ihren Fahrern keinen Mindestlohn zahlen, wenn das Fahrtziel in Deutschland liegt und ihre Lkw dort be- oder entladen werden.
„Unsere Fahrer sind schließlich bei polnischen Firmen beschäftigt”, erklärt Jan Buczek, Chef der einflussreichen polnischen Lkw-Vereinigung ZMPD. Deswegen muss nach seiner Auffassung auch polnisches Recht gelten. „Das deutsche Mindestlohn-Gesetz ist Ausdruck des schlechten Willens Deutschlands gegenüber Polen”, sagt Buczek, der Tausende von Transportfirmen in Polen vertritt. Diese sehen sich durch den Mindestlohn in ihrer Existenz bedroht.
Polnische Lkw sind die größte Gruppe von ausländischen Transportern auf deutschen Straßen. Allein im vergangenen Januar legten sie rund 13 Prozent aller gefahrenen Lkw-Kilometer in Deutschland zurück. Diese Zahl geht aus der aktuellen Statistik des Bundesamtes Güterverkehr (BAG) hervor. Die Fahrleistung aller Lkw-Transporteure – das heißt die Zahl der gefahrenen Kilometer – lag in diesem Monat bei insgesamt etwa 2,2 Milliarden Kilometer.
Polnische Transportunternehmen verfügen über insgesamt 90.000 mautpflichtige Fahrzeuge und tragen damit auch eine beträchtliche Summe zum Bundeshalt bei, der für 2015 Mauteinnahmen von insgesamt 4,3 Milliarden Euro vorsieht.
Nicht nur in Deutschland, auch in ganz Europa haben die Polen ein erhebliches Gewicht. „Bereits seit einigen Jahren weisen polnische Transportunternehmen die höchsten Transportleistungen im grenzüberschreitenden EU-Verkehr auf”, schreibt der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) in einem Bericht aus dem Jahr 2014. „Sie haben damit die Niederlande als größte Transportnation der EU abgelöst.”
Deshalb sind die Transportunternehmen auch für die gesamte Wirtschaft Polens wichtig. Ihre Erlöse steuern fast zehn Prozent zum polnischen Bruttoinslandsprodukt (BIP) bei. Aus diesem Grund macht sich die polnische Regierung für die Unternehmen stark. Sogar Premierministerin Ewa Kopacz schaltete sich bereits persönlich in den Konflikt ein.