„Keiner unterschätzt das Risiko“
ostpol: Du bist als Fotograf häufig im Osten der Ukraine. Zuletzt hast Du kurz nach dem Minsker Abkommen im Februar in den Kriegsgebieten fotografiert, auch für das Netzwerk n-ost, das ostpol herausgibt. Wie schätzt Du das Risiko für Dich ein?
Florian Bachmeier: Mir ist das Risiko bewusst, aber es gibt gewisse Maßnahmen, es zu minimieren. Auf der Verbindungsstraße nach Debaltsewo war es zum Beispiel wichtig, ständig in Bewegung zu bleiben. Risiko und Gefahr gibt es immer, Krieg ist Krieg, 24 Stunden lang. Oft ist die Lage unübersichtlich und kann sich sehr schnell ändern. Es ist schwierig, den Krieg in der Ostukraine zu dokumentieren.
Welche Schutzmaßnahmen hast Du getroffen?
Bachmeier: Ich hatte das Glück, noch eine schusssichere Weste zu bekommen, die das Ukraine Crisis Media Center an Journalisten verleiht. Leider war es ein sehr schweres, älteres Modell und erleichterte die Arbeit nicht gerade. Es war allerdings nicht wirklich beruhigender, mit Weste und Helm unterwegs zu sein, obwohl sie bei einem Einschlag in der Nähe natürlich lebensrettend sein können, da Brust- und Bauchraum sowie der Kopf vor Schrapnell- oder Granatsplittern einigermaßen geschützt sind.
Gibt es spezielle Versicherungen für die Arbeit in Konfliktgebieten?
Bachmeier: Ich habe eine Versicherung für meine Kameras, aber ich weiß nicht, ob Schäden in einer Konflikt- oder Kriegsregion in der Police aufgeführt sind. Ich habe nach schlechten Erfahrungen mit Versicherungen viel mehr mit dem Gedanken gespielt, alles zu kündigen. Ansonsten habe ich eine normale Lebensversicherung.
Arbeitest du häufiger in Konfliktgebieten?
Bachmeier: Ich habe einige Erfahrung im Umgang mit Bewaffneten, war oft auf dem Maidan in Kiew und zu Beginn des Konflikts für kurze Zeit in Donezk. Mit Kampfhandlungen im eigentlichen Sinn hatte kam ich vorher weniger in Berührung. Ich sehe mich auch nicht als Kriegsfotograf, mir ist vielmehr wichtig, das Leben der Menschen in Kriegsgebieten zu dokumentieren. Ihr Leben in ständiger Angst, wenn rohe Gewalt, Willkür und Ausgeliefertsein zum Normalzustand werden.
Du fotografierst für n-ost sowie für andere Magazine und Zeitungen. Hast Du das Gefühl, dass Deine Arbeit entsprechend honoriert wird?
Bachmeier: Fotografieren ist meine Leidenschaft. Solange ich davon leben kann, werde ich weitermachen. Manchmal, nach längerer Abwesenheit von Zuhause, schaue ich allerdings schon mit Sorge auf den Kontostand. Auch wenn man mitten im Brennpunkt ist und gute Bilder hat, ist man ohnmächtig gegen die Automatismen der Redaktionen der Tagespresse. Manchmal hört man, man wäre zu langsam, zu anders, zu schlecht. Da zweifelt man zwangsläufig an der eigenen Arbeit, umso mehr, wenn bereits gemachte Zusagen nicht eingehalten werden oder einfach aus Bequemlichkeit ein Agenturbild verwendet wird, das mit der tatsächlichen Situation vor Ort gar nichts zu tun hat.
Was motiviert Dich, trotz all der Risiken, in Gebieten wie der Ostukraine zu fotografieren?
Bachmeier: Ich habe festgestellt, dass mein persönliches Bedürfnis nach Information nicht von den Medien gestillt werden kann. Ich habe die Ukraine schon oft bereist und konnte vieles einfach nicht glauben. Seit Beginn des Maidan war ich schon mindestens zehn Mal in der Ukraine. Das Land und die Menschen dort bedeuten mir inzwischen sehr viel. Mir ist es wichtig, das Leid der Menschen in den Kriegsgebieten zu zeigen und so vielleicht auch dazu beitragen, dass mit dem Töten aufgehört wird.
Wie gingen Deine Kollegen in der Nähe des umkämpften Debaltsewo mit den Risiken um?
Bachmeier: Wir waren oft in einer Gruppe von Journalisten unterwegs, in der ich der einzige Fotograf war. Somit hatte ich nicht viel direkten Kontakt zu anderen Fotografen. Von denen, die ich gesehen habe, waren aber viele mit unglaublich gutem Material ausgestattet: leichte, schusssichere Westen, leichte Helme, oft auch Bein- und Armschoner. Zum Teil waren sie viel besser geschützt als die meisten Soldaten. Ich glaube, keiner unterschätzt das Risiko.
Wie gehst Du mit den Eindrücken, Geräuschen und Bildern um, die Dir in solchen Konfliktgebieten täglich begegnen?
Bachmeier: Beschuss war Tag und Nacht zu hören, an der Front wie in den Städten. Nach ein paar Stunden kann man ziemlich genau zuordnen, von wo der Beschuss kommt und um welche Waffengattung es sich handelt. Wir haben Verletztentransporte gesehen, wir haben die Leiche eines jungen Mannes gesehen, der bei einem Raketeneinschlag umkam, wir waren in Bombenkellern, in denen mehrere Familien unter schrecklichen Bedingungen leben müssen. Ich habe Bilder eines anderen Fotografen gesehen, der die Folgen eines Artillerievolltreffers auf ein ukrainisches Armeefahrzeug fotografiert hat: abgetrennte Körperteile, unkenntlich verbrannte Leichen, leuchtend rote Gehirnmasse auf der Ladefläche des zerstörten Lastwagens – unbeschreiblich. Diese Bilder bleiben im Kopf.
Wie war der Kontakt zu den Kämpfern?
Bachmeier: Der Kontakt zu den ukrainischen Soldaten war teilweise sehr gut, besonders zu denen, die an der Front Schanzarbeiten erledigten oder an den Checkpoints Wache hielten. Wir kamen ins Gespräch, und ich wurde herumgeführt. Zu Beginn der vereinbarten Waffenruhe war die Lage allerdings sehr angespannt.
Inwiefern?
Bachmeier: Als wir versuchten, das letzte Wegstück nach Debaltsewo zurückzulegen, wurden wir an der Weiterfahrt gehindert. Trotz der offiziellen Genehmigung des Verteidigungsministeriums blieb uns der Zutritt zu strategisch wichtigen Orten versagt, so dass wir alternative Routen und Wege in und aus den Dörfern vor Debaltsewo suchen mussten.
Wirst Du wieder fahren?
Bachmeier: Im Moment ist noch nichts geplant. Ich will den weiteren Verlauf des Konflikts aber auf jeden Fall weiter dokumentieren.