Toleranztest in der Slowakei
„Dass eine Debatte das Land so sehr spaltet und der Streit quer durch die Familien verläuft, haben wir in der Slowakei schon lange nicht mehr erlebt“, sagt der Journalist Matus Kostolny. Es ist das Referendum gegen die Gleichberechtigung Homosexueller, das die Slowaken derzeit so umtreibt. Mit der Abstimmung am Samstag will eine kirchennahe Organisation verhindern, dass künftig wie in anderen EU-Staaten eine rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften erfolgen könnte. In der slowakischen Gesellschaft tobt eine hitzige Debatte über den Sinn einer solchen Abstimmung.
Auch Kostolny, der ehemalige Chefredakteur des meinungsführenden Blattes „Sme“, beteiligt sich daran. Er steht im hellen Großraumbüro seiner Redaktion und zeigt die jüngste Ausgabe seiner neuen Zeitung „Dennik N“. Thema Nummer eins sind die drei Fragen, über die die Slowaken am Samstag abstimmen können: Soll die Institution der Ehe ausschließlich heterosexuellen Paaren vorbehalten bleiben? Und ebenso die Adoption von Kindern? Und sollen Schüler nicht gegen ihren eigenen und den Willen ihrer Eltern zur Teilnahme am Sexualkundeunterricht verpflichtet werden dürfen?
Treibende Kraft hinter dem Referendum ist die kirchennahe „Allianz für die Familie“. Sie hat die Volksabstimmung mit mehr als 400.000 Unterschriften durchgesetzt. Damit das Referendum gültig ist, muss über die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. Massive Unterstützung kommt von der katholischen Kirche, der über 60 Prozent der Slowaken angehören. Gleichzeitig haben sich mehrere gläubige Katholiken gegen das Referendum ausgesprochen.
Gefährliche Abstimmung
Die Debatte dreht sich um das Wegbrechen gewohnter Werte, um die Toleranz gegenüber Minderheiten – und die Frage, wie der Staat sie schützen sollte. „Sowohl die rechten als auch die linken politischen Parteien sind dem Thema Homosexuellen-Rechte bislang ausgewichen“, sagt Martin Macko von der Bürgerinitiative Inakost, die sich für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen sowie Trans-Menschen (LGBT) einsetzt. „Durch das Referendum sind sie jetzt gezwungen, sich dazu zu äußern“.
Dennoch: Macko und seine Mitstreiter halten das Referendum für einen gefährlichen Präzedenzfall. Grundlegende Menschenrechte dürften nicht zum Gegenstand einer Abstimmung werden. Zudem lenke das Referendum nach Meinung der Gegner von den eigentlichen Problemen der modernen Familie ab – etwa der hohen Scheidungsrate.
Inakost ruft daher zu einem Boykott auf. „Auf schlechte Fragen gibt es keine richtigen Antworten“, lautet das Motto. Die „Allianz für die Familie“ hingegen ist überzeugt: „Wenn wir die Familie umdefinieren und sagen, Ehe kann auch etwas anderes sein als das Bündnis zwischen Mann und Frau, dann verwirren wir die Gesellschaft“, sagt Peter Kremsky, einer der Sprecher der „Allianz“.
Referendum als Präventivmaßnahme
An der bestehenden Gesetzeslage kann das Referendum, egal wie es ausgeht, nichts ändern. Die slowakische Legislative sieht weder die Homo-Ehe, noch die Möglichkeit einer Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare vor. 2014 bekräftigten die regierenden Sozialdemokraten, unterstützt von der konservativen Christlich-Demokratischen Bewegung (KDH), den besonderen Schutz der Ehe zwischen Mann und Frau sogar noch durch einen entsprechenden Verfassungszusatz. Dennoch hält die „Allianz für die Familie“ das Referendum für geboten – als Präventivmaßnahme gegen eventuelle künftige Versuche, etwas am rechtlichen Status von Homosexuellen zu ändern.
Einig sind sich Gegner und Befürworter lediglich in einem Punkt: Die Debatte habe die Slowakei aufgerüttelt. Noch ist der Ausgang ungewiss – doch Macko ist überzeugt, dass die Auseinandersetzung letztlich zu praktischen Verbesserungen für die LGBT-Gemeinschaft führen werde. „Immer mehr Persönlichkeiten sprechen offen über ihre sexuelle Orientierung“, sagt er. „Die Akzeptanz dafür wächst.“ Es dauere in der Slowakei zwar länger als in anderen Ländern, aber die Richtung sei klar.