Rumänien

Die digitale Werkbank Europas

Software aus Osteuropa? Für die Deutsche Bank ist das seit dem vergangenem Jahr Realität. Im Mai 2014 hat das Unternehmen ein eigenes Technologiezentrum in Bukarest eingeweiht. „Derzeit arbeiten hier 200 Mitarbeiter, bis 2016 sollen es 500 werden“, sagt ein Konzernsprecher.

Die Deutsche Bank steht mit dieser Entscheidung nicht alleine da: Früher haben westeuropäische Unternehmen ihre Produktion ins billigere Mittel- und Osteuropa verlegt, heute beziehen sie Informations- und Kommunikationstechnologie (ITC) von dort. In den Glastürmen der modernen Geschäftsviertel von Krakau und Bukarest sitzen längst die globalen Größen der IT-Branche: Intel, IBM und Microsoft. Ihre Produkte werden in der Region zusammengebaut, entwickelt und gewartet. Zusätzlich hat sich eine Szene aus lokalen Unternehmen etabliert.

„Die Fachkräfte in der Region sind gut ausgebildet, die Lohnkosten aber niedrig“, sagt Katarzyna Rzentarzewska, Analystin bei der österreichischen Bank Erste Group. Dazu kommt die geografische und kulturelle Nähe, sowie eine rege Start Up-Szene vor Ort. Der Branchenriesen Indien verliert für westeuropäische Unternehmen an Bedeutung. Die Länder Mittel- und Osteuropas hingegen seien weit genug entfernt, um die Dienstleistung zu verbilligen – aber trotzdem so nah, dass man keine Geschäftsanrufe um drei Uhr nachts befürchten müssen, so formuliert es das Fachmagazin Computer Weekly.


Rumänische Lösungen für belgische Polizei

Argumente, die auch die Deutsche Bank überzeugt haben. In Rumänien profitiere man „von gut ausgebildeten Talenten und einem akademischen Umfeld mit Tradition im Engineering und der Mathematik“, sagt der Sprecher. Gerade hat auch der deutsche Großhändler Metro die Auslagerung der Konzern-IT nach Rumänien vollzogen. Künftig soll die Konzernsoftware für sämtliche Metro-Filialen aus Bukarest und Brasov kommen.

Im Land arbeiten bereits 65.000 Menschen an ITC-Produkten für internationale Kunden. In keinem anderen Land der EU sind in Relation zur Bevölkerungszahl so viele Menschen in dieser Branche beschäftigt, schreibt die Agentur Bloomberg. Rumänien exportiert komplexe Dienste: So greift etwa die Polizei von Antwerpen in der Kommunikation zwischen Streife und Zentrale auf rumänische Lösungen zurück – ebenso die Krankenhäuser in Maastricht mit den 3D-Visualisierung von Organen.

Neben Rumänien gilt vor allem Polen in der Branche als ein guter Standort. Der Brancheninsider Tholons listet Krakau gar als einen der zehn besten Standorte weltweit. Der Bedarf an Softwarelösungen und IT-Service aus Polen wächst laut der Wirtschaftsagentur Invest in Poland um sieben Prozent jährlich. Im kommenden Jahr soll der Sektor mehr als vier Milliarden Euro erwirtschaften – keines der jüngeren EU-Mitglieder macht in diesem Bereich mehr Umsatz. Microsoft, HP, Google und der Softwarehersteller SAP – sie alle haben längst polnische Tochterunternehmen.


Export von Wissen

Weiter im Nordosten setzt der ukrainische ITC-Sektor bereits eine Milliarde Euro im Jahr um. Samsung hat in Kiew sein größtes europäisches Forschungs-und Entwicklungszentrum aufgebaut. Galt die Ukraine in Zeiten der Sowjetunion als Hort für innovative Technologie, hemmen heute der Krieg im Osten des Landes und administrative Hürden die Entwicklung. „Wir wünschen uns rasche Erleichterungen der Visabestimmungen, damit unser Personal ohne Probleme in die EU einreisen kann“, sagt der Chef des IT-Dienstleisters Qualysoft, Peter Oros.

Dass Informationstechnologie mittlerweile auch aus Osteuropa kommt, stellt für Analystin Rzentarzewska wichtige Weichen für die Zukunft der Region: „Es geht darum, dass die mittel- und osteuropäischen Länder ihre Volkswirtschaften mehr auf Wissen und Innovation umstellen, um langfristiges Wachstumspotenzial zu sichern.“ Und die Vorstellung von der einfachen Werkbank hinter sich lassen.


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Quellen:

Gespräch mit Deutsche Bank

Gespräche mit Unternehmern in Bukarest und Wien

Colliers International

Tholons

Computer Weekly

Invest in Poland


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