Hoher Preis für die Abhängigkeit von Russland
Der 12. Januar wird den Menschen in der armenischen Stadt Gjumri im Gedächtnis bleiben. An jenem Tag wurde das Leben einer siebenköpfigen Familie ausgelöscht. Erschossen wurden Großeltern, Eltern und eine zweijährige Enkelin. Der sechs Monate alte Enkel erlag Tage später seinen Verletzungen.
In Gjumri gibt es wenig Zweifel darüber, wer den Mord begangen hat. Im Haus der Familie wurden Uniformteile gefunden, die den Namen eines russischen Soldaten trugen. Er dient in der 102. Militärbasis der russischen Armee in Gjumri. Der Soldat wurde wenig später aufgegriffen, als er über die nahe Grenze in die Türkei fliehen wollte. Armenischen Medienberichten zufolge gestand er die Tat und ist derzeit in der Kaserne inhaftiert. Sein Motiv ist bislang unklar.
Für die Militärbasen in Armenien zahlt Russland keine Miete
Schon 1999 hatten zwei betrunkene russische Soldaten in einem Markt in Gjumri zwei Menschen erschossen und Dutzende verletzt. 2013 tötete eine Mine auf einem unbewachten Übungsplatz zwei Jungen.
Die armenische Regierung blieb nach der neuerlichen Tat stumm, die Generalstaatsanwaltschaft in Jerewan erklärte sich zunächst für nicht zuständig. Russland ist Armeniens Schutzmacht: Ein Sicherheitsabkommen legt fest, dass Tausende russische Soldaten bis 2044 in Armenien stationiert bleiben. Russische Sicherheitskräfte bewachen die Grenzen zur Türkei und zum Iran und schützen den armenischen Luftraum. Für die Militärbasis in Gjumri, so berichten mehrere Quellen, zahlt Russland keine Miete.
Viele Armenier werfen ihrer Regierung vor, gegenüber Russland kein Rückgrat zu zeigen: „Unsere Regierung ist nicht fähig, etwas zu unternehmen. Sie wartet nur auf Befehle aus Moskau“, beklagte sich zum Beispiel Alex Ter-Menasjan, der in Gjumri ein Hotel und ein Kunstforum leitet. Gewaltsamer Protest entzündete sich schließlich an der Frage, wo der russische Soldat vor Gericht gestellt werden soll. Einem russisch-armenischen Abkommen von 1997 entsprechend forderten Hunderte Menschen in Gjumri und Jerewan, dass der Soldat vor ein armenisches Gericht gestellt wird.
Die Stimmung in Armenien bleibt angespannt
Inzwischen haben die russischen und armenischen Ermittler einen gemeinsamen Untersuchungsstab eingerichtet. Es hieß, der Soldat werde in Armenien vor Gericht gestellt. Es könnte sich aber auch um ein russisches Militärgericht in Gjumri handeln.
Die Stimmung im Land ist seitdem ruhiger, bleibt aber angespannt. Denn weitere Faktoren belasten das russisch-armenische Verhältnis. Obwohl Russland Schutzmacht ist, liefert es auch Waffen an den gegnerischen Nachbarn Aserbaidschan. Mit Aserbaidschan steht Armenien im Konflikt um die Region Bergkarabach. Sie wird von Armeniern kontrolliert, liegt aber innerhalb der Grenzen Aserbaidschans.
Experten sehen darin die Absicht der russischen Führung, Armenien unter Druck zu setzen. So verzichtete Armenien im September 2013 überraschend auf ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Stattdessen trat die Ex-Sowjetrepublik der Eurasischen Wirtschaftsunion bei und leidet jetzt umso mehr unter den Folgen der russischen Rubel- und Wirtschaftskrise.
Armenien leider unter der Rubelkrise
So sanken 2014 die Überweisungen armenischer Arbeiter in Russland an ihre Familien zu Hause erheblich. Diese machten der armenischen Zentralbank zufolge bisher etwa 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Armenische Bestrebungen für gemeinsame Infrastrukturprojekte mit dem südlichen Nachbarn Iran kamen dagegen kaum voran, weil russische Firmen ihre dominante Stellung auf dem armenischen Markt einsetzten.
Der Oppositionspolitiker Styopa Safaryan von der national-liberalen Erbe-Partei setzt sich seit langem für eine geringere Abhängigkeit von Russland ein: „Schon vor dem grausamen Verbrechen in Gjumri und dem Protest danach war klar, dass Armenien seine Wirtschafts- und Sicherheitspolitik breiter ausrichten muss. Jetzt stimmen mehr Menschen zu, dass diese Abhängigkeit von Russland inakzeptabel ist. Doch eine Änderung wird nicht leicht angesichts der Isolationspolitik der Nachbarn Aserbaidschan und Türkei, wovon Russland profitiert.“
----------------
Quellen:
Analysis: Gyumri tragedy raises questions over Armenian sovereignty - Analysis | ArmeniaNow.com
The Gyumri Killings: Beyond the Legal Arguments