Ausschreitungen in Pristina
Die Stimmung auf dem Skanderbeg-Platz wird schlagartig aggressiv, als Dadan Molliqaj am Dienstag zum Mikrofon greift. Das Mitglied der nationalistischen albanischen Partei Vetevendosje (Selbstbestimmung) gibt der Polizei ein Ultimatum von 15 Minuten, um die Polizeibarrikaden abzubauen. „Wir haben das Recht auf dem Skanderbeg-Platz zu demonstrieren“, ruft er.
Der Platz befindet sich direkt vor dem kosovarischen Parlament. Die unteren Stockwerke des Parlamentsgebäudes sind noch entglast von den Protesten, die dort am vergangenen Wochenende stattfanden. Auch am Dienstag kommt es erneut zu Ausschreitungen: Polizei und Demonstranten liefern sich stundenlange Straßenschlachten, Wasserwerfer werden eingesetzt. Es sind die größten und gewalttätigsten Proteste seit der Unabhängigkeit des Kosovo im Jahr 2008. Und Albin Kurti, Vorsitzender der Partei Vetevendosje, kündigt an, dass die Demonstrationen weiter gehen werden.
Die Demonstranten fordern den Rücktritt des serbischen Ministers Aleksandar Jablanovic wegen Äußerungen, die als Beleidigung für die Albaner empfunden wurden. Jablanovic hatte vor zwei Wochen albanische Demonstranten als „Wilde“ bezeichnet, nachdem sie eine Gruppe serbischer Pilger daran gehindert hatten, serbische-orthodoxe Kirchen im Westen des Kosovo zu besuchen. Die Beschuldigten gaben an, unter den Pilgern hätten sich auch „Kriegsverbrecher“ befunden. Seitdem laufen Opferverbände Sturm gegen Jablanovic, einen von drei Serben im Kabinett.
Antiserbische Stimmungen
Auch die zweite Forderung der Demonstranten auf dem Skanderbeg-Platz betrifft die serbische Minderheit im Land: Die Trepca-Minen sollen verstaatlicht werden, was aber problematisch ist, weil diese sich sowohl in dem von Serben bewohnten Norden, als auch im von Albanern bewohnten Süden des Kosovo befinden. Pristina übt jedoch keine Staatsgewalt im Norden des Landes aus. Weil die Entscheidung, die Minen zu verstaatlichen, vergangene Woche vertagt worden ist, werfen die Demonstranten der Regierung nun vor, „serbenfreundlich“ zu sein.
„Trepca gehört uns, Trepca gehört nicht Serbien“, skandiert die Menge. Auf einem Schild ist zu lesen: „Wir haben nicht genug Essen um die Armen zu speisen, aber wir haben genug für die Serben.“ Als Demonstranten versuchen, die Barrikaden der Polizei zu überwinden, werden sie mit Tränengas beschossen. Ältere Menschen drücken sich Zwiebeln in die Augen, einige versuchen in die umliegenden Cafés zu flüchten.
Nach den vergangenen Wahlen befand sich Kosovo ein halbes Jahr im politischen Stillstand. Am 9. Dezember 2014 nahm die neue Regierung von Premierminister Isa Mustafa ihre Arbeit auf. Sechs Wochen später befindet sie sich bereits in der Krise. Laut Regierungsangaben beteiligten sich bislang 2.000 Menschen an den Demonstrationen, 35 Polizisten und 20 Demonstranten sollen verletzt worden sein. Die Zahlen dürften jedoch höher liegen.
„Beleidigungen sind Teil unserer politischen Kultur“
Bei einem Fernsehinterview äußerte sich Premierminister Isa Mustafa zu den Rücktrittsforderungen gegenüber seinem Minister Aleksandar Jablanovic: „Leider ist der Gebrauch beleidigender Begriffe in unserer politischen Kultur sehr verbreitet“, sagte Mustafa. „Wenn wir unsere Städte jedes Mal niederbrennen würden, wenn jemand etwas Beleidigendes äußert, dann wäre vom Kosovo nichts mehr übrig.“
Albin Kurti, den Chef der Oppositionspartei Vetevendosje, werden diese Worte nicht beruhigen. Gewaltandrohungen und das Schüren von antiserbischen Stimmungen scheinen zum festen Bestandteil seines politischen Programms zu werden. Er hat weitere Demonstrationen angekündigt.