Tschechien

Spiel nicht mit den Roma-Jungen

Mittwochabend im Stadtstadion von Decin. Das wöchentliche Fußballtraining beim TJ Roma Junior Decin hat begonnen. Etwa ein Dutzend Spieler hat sich auf dem Spielfeld um ihren Trainer Pavel Horvath versammelt. Das besondere an den Fußballern, die hier trainieren: Die meisten von ihnen gehören der Roma-Minderheit an.

Die Ansprache des Trainers und zugleich Klubgründers hat seit Wochen nur ein Thema: Den Boykott gegen sein Team. Von bisher acht Begegnungen in der untersten Spielklasse hat der neu gegründete Klub gerade einmal drei gespielt. Der Rest wurde von den gegnerischen Teams abgesagt, wegen Sicherheitsbedenken, wie es jedes Mal hieß. Die Spieler von Junior Decin wären aggressiv und hätten ihre Fans nicht im Griff.

Der Auslöser des Boykotts liegt mehr als drei Jahre zurück: Kurz vor Ende des Spiels zwischen dem Roma-Verein FK Decin und Lok Decin kommt es zu einer Schlägerei. Die Partie wird abgebrochen. Die anderen Vereine schließen sich aus Protest zu einem Boykott gegen den Roma-Verein zusammen. Die Mannschaft bekommt eine hohe Strafe aufgebrummt, die den FK Decin in die Knie zwingt. Ein fast 50 Jahre währendes Kapitel des Roma-Fußballs in Decin geht unrühmlich zu Ende.


Roma bleiben lieber unerkannt

Um drei Jahre später den Roma-Klub wiederzugründen, hat Trainer Pavel Horvath noch einmal sein Leben geändert. Er lebte die vergangenen Jahre in Manchester. „Dort ging es mir gut. Meine Tochter und Enkel habe ich immer noch dort“, sagt er. Doch der Ruf aus Decin war stärker. Immerhin ist er der Neffe von Ladislav Horvath. Der hatte 1962 den SK Roma Decin gegründet. „Roma-Fußball gibt es in Decin schon, seit ich denken kann“, sagt Horvath.

Roma spielen nicht nur in ihren eigenen Klubs. Im tschechischen Spitzenfußball sind Roma-Fußballer aber eher selten und nicht immer bekennen sie sich offen zu ihrer Herkunft. „Anspielungen oder Beleidigungen sind immer wieder zu hören. Doch so extrem wie jetzt bei Roma Junior Decin ist die Ablehnung nirgendwo“, berichtet Gyulla Banga, der regelmäßig das Geschehen im Roma-Fußball verfolgt.

Dass Roma Junior Decin seinen Ruf nicht los wird, liegt vor allem an Patrik Herak, der als einziger aus dem alten Team dabei ist: Herak war damals maßgeblich an der Schlägerei beteiligt. Das tue ihm heute leid, sagt er. Und er habe dafür gebüßt: „Ich durfte nicht spielen, habe meine Strafe beglichen und mich mit der Versicherung des Spielers von Lok Decin geeinigt. Inzwischen sind wir sogar gute Bekannte“, erzählt er.


Funktionäre geben sich hilflos

Auch den Funktionären ist die Sache sichtlich unangenehm – vor allem, dass die Medien von Rassismus schreiben. Kreisverbandschef Libor Simicek beklagt: „Wenn ihr Medien das nicht so hochgespielt hättet, wäre das längst erledigt.“ Natürlich ginge es dennoch nicht, dass Vereine einfach ihre Spiele absagen.

Tritt ein Verein nicht an, wird das Spiel mit 0:3 als verloren gewertet. Doch weder das, noch die von 1.000 auf 1.500 Kronen, rund 55 Euro, angehobene Strafe konnten die Klubs vom Boykott abhalten.

Klubsekretär Martin Klein vom FK Frantiskov ist der einzige Vertreter der boykottierenden Klubs, der für ein Interview zur Verfügung steht. Frantiskov war das erste Team, das sich dem Spiel mit der Roma-Mannschaft verweigerte. Hätten sie das Spiel nicht verloren gegeben, wären sie jetzt Tabellenerster.


Schlägerei noch nicht überwunden

„Ach, das ist es uns nicht wert“, winkt er ab. „Wir sind alle um die 40 Jahre, da sollte man seine Emotionen im Zaum halten können“, spielt Klein auf den Vorfall vor über drei Jahren an. Auch er sieht in dem Verhalten seiner Spieler nichts Rassistisches. „Wir haben doch selbst drei Roma-Spieler in der Mannschaft. Und dass Junior Roma nichts mit dem FK Decin zu tun hat, ist nur Gerede. Das sind immer noch die gleichen Typen“, redet Klein sich warm. „Wir sind hier doch nicht Sparta Prag, wo die Spiele Polizeischutz brauchen“, so Klein.

Am meisten ärgert ihn aber der Zuschuss, den die Stadt Decin dem Roma-Klub Anfang der Saison gewährt hat. „Die halten die Hand auf und die Stadt zahlt ihnen alles, von der Stadionmiete über die Anmeldegebühren, einfach alles“, ereifert sich Klein und kommt dann doch noch auf die andere Herkunft der Roma-Spieler zu sprechen. „Ich verstehe nicht, was diese Bevorzugung soll. Wir sind doch alles Tschechen und würden auch gern mal auf Kunstrasen spielen.“

Die Stadt Decin bestätigt einen einmaligen Zuschuss in Höhe von 10.000 Kronen, etwa 370 Euro, und verteidigt ihn: „Wir stecken im Jahr vier Millionen Kronen in den Sport, das ist nichts Außergewöhnliches. Und was den Roma-Klub angeht: Besser, sie spielen Fußball, als dass sie Unsinn anstellen“, sagt Pavel Sinko. Das Geld sei vor allem an die Schülermannschaft gegangen, die Roma Junior unterhält, so der Vizebürgermeister.


Empörung über Zuschüsse für Roma-Verein

Er weiß um die Probleme in seiner Stadt. Mit rund 3.000 Menschen wohnen in Decin überdurchschnittlich viele Angehörige der Roma-Minderheit. Schätzungen des Sozialministeriums zufolge liegt in Tschechien die Arbeitslosenrate unter Roma bei 39 Prozent. In Decin dürfte sie noch höher ausfallen, da es hier für alle wenig Arbeit gibt.

„Da ist ein eigener Fußballklub extrem wichtig“, sagt Trainer Pavel Horvath. „Hier können unsere Leute zeigen, was sie drauf haben, wenn sie sich schon woanders nicht durchsetzen können.“

Zu den Spielen von Roma Junior kommen regelmäßig 200 bis 300 Zuschauer, deutlich mehr, als in den anderen Kreisklassespielen. Die hatte kürzlich endlich mal wieder was zu feiern. Eine Auswahl von Diplomaten aus mehreren Ländern wie Schweden, den USA und Dänemark reiste nach Decin, um den Ausgebooteten mit einem Freundschaftsspiel den Rücken zu stärken. Am Ende stand es Unentschieden, ein symbolisches Elfmeterschießen brachte den Diplomaten den Sieg.


Sehnsucht nach Alltag

Pavel Horvath glänzen noch jetzt die Augen, wenn er von dem Spiel erzählt. Die Sehnsucht nach einem normalen Ligaalltag ist groß. Geht es nach dem Kreisverbandschef Libor Simicek, wird sich die Lage bald beruhigen: „Im Frühjahr werden alle Partien gespielt, da bin ich mir sicher.“

Auch Fußballexperte Gyulla Banga ist optimistisch. Die Boykottfront bröckele. „Die beiden stärksten Teams sind gegen Roma Junior angetreten und das waren schöne Spiele, ohne Ressentiments.“ Da Roma Junior beide Spiele verlor, sind zugleich die Chancen gesunken, in die nächsthöhere Spielklasse durchgereicht zu werden – für jedes abgesagte Spiel hat der Verein bislang schließlich drei Punkte geschenkt bekommen. „Auch wenn das einigen gefallen würde, wir wollen das aus eigener Kraft schaffen“, zeigt sich Pavel Horvath kämpferisch. Seine Rückkehr nach Manchester wird er noch um einige Zeit verschieben.


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