Euro statt Litas
Tag für Tag ist Maria Gaidyte in Litauen unterwegs. Die Kontrolleurin will die Verbraucher schützen und den Litauern die Sorge vor versteckten Preiserhöhungen nehmen. Mit ihrem Tablet Computer streift sie durch kleine Läden und große Einkaufszentren, prüft die doppelte Auszeichnung in der Landeswährung Litas und Euro und rechnet nach, ob korrekt umgerechnet worden ist. Denn wofür die Litauer ab Januar einen Euro hinlegen müssen, das kostet bislang noch drei Litas und 45 Centas.
Gaidyte fotografiert ihre Stichproben und veröffentlich sie im Internet. „Bisher habe ich mehr als 1.500 Läden kontrolliert und nicht einmal zehn Verstöße registriert“, sagt sie. „Und die auch nur in den großen Supermarktketten. Die kleinen Händler spüren große Konkurrenz und rechnen immer korrekt um“, erklärt Gaidyte.
Mittlerweile haben sich gut 4.500 Einzelhändler zu einer fairen Euroeinführung verpflichtet und halten ihr Versprechen fast durchweg. Diese vertrauensbildende Maßnahme war anfangs notwendig: Mit Blick auf Länder wie Deutschland hatten die Verbraucher große Sorge, dass aus dem Euro ein sogenannter Teuro werden könnte.
Mit der Krise in der Ukraine und dem russischen Importverbot litauischer Lebensmittel bekommt der Eurobeitritt nun allerdings eine neue Bedeutung. Die Mehrheit der Litauer fiebert der Einführung des Euro geradezu entgegen. „Mit dem Euro sind wir im Klub der gemeinsamen Währung und können uns besser gegen den Druck aus Russland wehren“, so formuliert es ein junger Mann, der gerade in einem Supermarkt in Vilnius seine Einkäufe erledigt. Die Angst vor dem russischen Nachbarn spielt eine große Rolle.
Sehnliches Warten auf den Euro
„Seit unser Nachbar Russland in der Ukraine aufmarschiert, hat die Einführung des Euro einen geopolitischen Wert gewonnen“, sagt der litauische Oppositionsführer Andruis Kubilius. Litauen fühle sich dadurch sicher und noch besser in die EU integriert. Während der schweren Wirtschaftskrise zwischen 2008 und 2012 war Andrius Kublius Premierminister. Er kann es als seinen Erfolg verbuchen, dass das Land mit harten Sparmaßnahmen in kürzester Zeit wieder auf die Beine gekommen ist.
Nach Einschätzungen der Weltbank werde Litauen, was seine Wettbewerbsfähigkeit betrifft, auf Platz drei in der Eurozone landen. Die europäische Zentralbank bescheinigt eine voraussichtliche Inflationsrate von maximal 1.9 Prozent bis 2016 und dadurch Preisstabilität. „Die Integration in den europäischen Binnenmarkt bietet uns wirtschaftliche Sicherheit“, sagt Kubilius.
Im Sommer hatte Russland auf die europäischen Sanktionen mit einem Einfuhrverbot von Lebensmitteln aus der EU reagiert. Tatsächlich wurde auch Litauen hart getroffen: Die Industrie rechnet mit mehr als 200 Millionen Euro Verlust. Die Wurstfabrik „Biovela“ hat gut 10 Prozent ihres Exportes eingebüßt, ihr Gründer Virginius Kantauskas kann deshalb die Einführung des Euro kaum erwarten. Sein Unternehmen zählt zu den Spitzenreitern auf dem Baltischen Markt.
Auf den russischen Markt verzichten
Die Verluste aus dem Geschäft mit Russland hofft Kantauskas rasch auszugleichen: Mit der Währungsunion würden litauische Unternehmen wettbewerbsfähiger auf dem europäischen Binnenmarkt werden. „Ab dem 1. Januar muss ich keine Gebühren mehr für den Umtausch von Litas in Euro zahlen“, sagt Kantauskas. So könne sein Betrieb die Preise senken. „Auf den russischen Markt können wir verzichten“, ist er sich sicher. „Die europäischen Kunden werden uns vertrauen, weil unsere Würste aus einem Euroland kommen.“
Nur 22 Jahre besaß Litauen mit dem Litas eine eigene Währung. Auf der Fassade der litauischen Notenbank zählt eine digitale Anzeige Tage, Minuten und Sekunden bis zur Einführung des Euro. Natürlich sei es ein bisschen schade, dass sie den Litas verlieren, sagt eine junge Frau vor der Bank. „Aber der Euro bindet uns einfach stärker an die europäische Familie.“ Sie zückt eine blaue Zehn-Litas-Banknote aus der Brieftasche, auf deren Rückseite der litauische Reiter abgebildet ist. Dieses nationale Symbol schmückt auch das Staatswappen – und bald die litauischen Euromünzen.
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Quellen:
Persönliche Interviews mit:
- Maria Gaidyte, Verbraucherschützerin
- Andrius Kubilius, Oppositionsführer
- Virginius Kantauskas, CEO "Biovela"
- Kunde, Passantin