Rumänien

„Die Revolution wurde gestohlen“

Die westrumänische Stadt Temeswar am Nachmittag des 16. Dezember 1989: Vor dem Haus des ungarisch-reformierten Pfarrers Laszlo Tökes haben sich hunderte Menschen versammelt und protestieren. Tökes soll in ein weit entferntes Dorf strafversetzt werden. Als die Geheimpolizei Securitate ihn mit Gewalt aus der Wohnung holen will, rufen die Demonstranten: „Nieder mit der Diktatur!“

Es ist der Augenblick, in dem der Aufstand gegen das Regime des national-kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu beginnt. „Ich war auf das Schlimmste vorbereitet“, erinnert sich Tökes im Gespräch. „Ich konnte nicht glauben, dass das Ceausescu-Regime nur wenige Tage später enden würde. Und schon gar nicht ahnte ich, dass ich das Ende auslösen würde.“


Tökes predigte offen gegen die Ceausescu-Diktatur

Laszlo Tökes, geboren 1952, stammt aus einer Theologenfamilie und ist schon als Student offen antikommunistisch eingestellt. Als Pfarrer predigt er von der Kanzel herab immer wieder gegen die Ceausescu-Diktatur und wird deshalb von der Securitate drangsaliert. Sein Bischof will ihn Anfang 1989 strafversetzen lassen. Doch Tökes verbarrikadiert sich ab April 1989 in seinem Pfarrhaus in Temeswar – er will seine Gemeinde nicht verlassen.

Die Securitate isoliert ihn und seine Frau Edit immer mehr, ab Herbst 1989 bekommt das Ehepaar nur noch Lebensmittel durch Gottesdienstbesucher. Mitte Dezember läuft die Frist für Tökes ab, dann soll er Temeswar verlassen. Doch Ceausescu hat nicht damit gerechnet, dass sich die Temeswarer mit dem mutigen Pfarrer solidarisieren. Am 17. Dezember 1989 erteilt der Diktator den Schießbefehl gegen die Aufständischen in der Stadt. Dutzende Menschen sterben, hunderte werden verletzt. Doch am 20. Dezember 1989 verlieren Armee und Polizei die Kontrolle und die Aufständischen erklären Temeswar zur „ersten freien Stadt Rumäniens“.


Der Pfarrer brach schnell mit den neuen Machthabern

Als Ceausescu an diesem Tag in einer Fernsehansprache von „faschistischen Provokationen“ in Temeswar spricht, ist das auch im Rest des Landes das Signal zum Aufstand. Nicht einmal 48 Stunden später, am Mittag des 22. Dezember 1989, fliehen der Diktator Ceausescu und seine Frau Elena aus Bukarest.

Tökes und seine Frau sind bereits am 17. Dezember mit Gewalt in das Dorf Mineu in Nordrumänien gebracht worden. Dort erfahren sie vom Ende der Diktatur. Der Pfarrer wird nun im In- und Ausland zum Symbol des Aufstandes gegen die Diktatur, ist bald auch Mitglied im provisorischen Führungsrat Rumäniens. Doch schnell bricht Tökes mit den neuen Machthabern. Sie sind in der Mehrheit ehemalige Funktionäre der Diktatur.

Was für Tökes noch schwerer wiegt: Im März 1990 kommt es zu blutigen Ausschreitungen gegen die ungarische Minderheit in Siebenbürgen, organisiert von Ultranationalisten. Als Tökes seine Stimme gegen sie erhebt und mehr Minderheitenrechte fordert, wird er, das Symbol der Revolution, von den neuen Machthabern um den provisorischen Staatspräsidenten Ion Iliescu zu einem Feind Rumäniens und zu einem Separatisten erklärt.


Tökes ist bis heute eine umstrittene Figur

Das ist er in den Augen der rumänischen Öffentlichkeit bis heute geblieben. Auch er selbst hat einen gewissen Anteil an diesem Image. Schon in den 1990er Jahren entwickelt er sich zunehmend zu einem „radikalen“ Ungarn. Heute ist er Abgeordneter des Europaparlamentes für Fidesz, die Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Bis heute klagt Tökes oft polarisierend und oft zu Unrecht über die angeblich dramatische Situation von Minderheiten in Rumänien – obwohl sich die Situation schon ab Mitte der 1990er Jahre für die Minderheiten zum Besseren wendete. Allerdings finden bis heute immer wieder sehr schmutzige nationalistische Kampagnen gegen die ungarische Minderheit statt.

Zugleich hat eine Mehrheit der Rumänen bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen einen Kandidaten gewählt, der selbst nicht Rumäne, sondern ein Siebenbürger Sachse ist: Klaus Johannis. Es war ein historisches Ereignis in der rumänischen Geschichte. Auch Laszlo Tökes hat Klaus Johannis unterstützt. Er ist allerdings skeptisch, ob Rumäniens neuer Präsident das Land wirklich von Grund auf ändern kann. „Der Wandel in Rumänien ist nach 1989 nie wirklich vollzogen worden“, sagt Tökes im Rückblick. „Oder, wie es der rumänische Volksmund ausdrückt: ‚Die Revolution wurde gestohlen.‘“

Quellen:

- Interview mit Laszlo Tökes
- http://www.memorialulrevolutiei.ro/ (Vereinigung zur Erinnerung an die Revolution in Temeswar und Dokumentationszentrum)
- http://mariusmioc.wordpress.com/ (Webseite von Marius Mioc, während des Aufstandes in Temeswar Student, wegen Teilnahme am Aufstand gegen Ceausescu inhaftiert, heute Publizist und Autor von Büchern über den Aufstand gegen Ceausescu)


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