Schweres Leben für Schwule
Tomasz Kolodziejczyk ist viel beschäftigt. An einem Mittwochnachmittag besucht der 30-jährige Schwulen-Aktivist die Stadtverwaltung im südpolnischen Katowice. Kolodziejczyk geht dorthin, um seinen Verein „Teczowka“, der sich vor allem für die Rechte von Homosexuellen einsetzt, zu vertreten. Am Abend dspricht er außerdem bei einer Podiumsdiskussion in einem progressiven Programmkino der Stadt über die Situation von Homosexuellen in der polnischen Gesellschaft. „Wir müssen die Verantwortlichen in den Behörden immer noch mit dem Thema Homosexualität vertraut machen, die wissen manchmal nicht, wie sie mit uns umgehen sollen“, sagt der Informatiker.
Der Verein, dem Kolodzeiejczyk vorsitzt, heißt übersetzt kleiner Regenbogen, oder auch Iris, also Regenbogenhaut des Auges. Tatsächlich muss man in Polen nur die Augen öffnen, um die schwierige Situation von Homosexuellen zu erkennen. Zwar wurde jüngst mit Robert Biedron polenweit erstmals ein offen schwuler Politiker zum Bürgermeister der polnischen Stadt Slupsk gewählt. Zuvor war der 38-Jährige auch der erste Abgeordnete im polnischen Parlament (Sejm), der seine homosexuelle Orientierung nicht verbarg. Doch Menschen, die sich outen, haben es im konservativen Polen nach wie vor schwer. „Bei unserem Verein suchen viele Menschen psychologische Hilfe, weil ihre Umgebung mit ihrer sexuellen Identität nicht klarkommt oder sie bekämpft“, berichtet Kolodziejczyk.
Fast jeder Zweite bezeichnet sich als tolerant
Nach Angaben des Verbands ILGA-Europe, der die Interessen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen in Europa vertritt, rangiert Polen in Sachen rechtlicher und gesellschaftlicher Situation dieser Gruppen gemeinsam mit Rumänien auf dem viertletzten Platz. In seinem aktuellen Jahresbericht stellt der Verband aber auch fest, dass die polnischen Politiker beim Thema Homosexualität konservativer agierten, als es die Stimmung in der Gesellschaft vorgab.
Tatsächlich ist laut Umfragen die polnische Gesellschaft in den letzten 20 Jahren offener gegenüber Homosexuellen geworden. In einer Umfrage aus dem Jahr 2012 gab gut die Hälfte der Befragten an, tolerant gegenüber Schwulen und Lesben zu sein. Doch nur zwölf Prozent der repräsentativ Befragten sehen Homosexualität als etwas Normales an, 83 Prozent hingegen als eine Abweichung von der Norm. Und Vertreter der einflussreichen katholischen Kirche schüren die Vorurteile weiter. Schwule wollten die katholische Mehrheit im Land „dominieren und regieren, dagegen muss man sich wehren“, sagt der bekannte und umstrittene Priester Dariusz Oko.
In der Tat „wehren“ sich offenbar viele gegen Schwule: Nach Angaben der landesweiten agierenden Organisation „Kampagne gegen Homophobie“ haben zehn Prozent der nicht heterosexuellen Polen wegen ihrer sexuellen Orientierung physische Gewalt erfahren, jeder Zweite berichtet von psychischer Gewalt.
„Ein Schwuler, also Jude“
Die gesellschaftliche Diskriminierung geht Hand in Hand mit der staatlichen Benachteiligung. So legte die in Warschau regierende, liberal-konservative Bürgerplattform (PO) im Jahr 2013 ein Gesetz zur Besserstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften vor. Obwohl die Initiative lediglich die nichteheliche Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare anstrebte und keine Angleichung an die Ehe, opponierte nicht nur die nationalkonservative Opposition.
Auch große Teile der Koalition aus PO und der konservativen Bauernpartei PSL wetterten gegen das Gesetz. „Wenn es einen moralischen Verfall der Gesellschaft gibt, heißt das nicht, dass wir dem zustimmen müssen“, begründete PSL-Politiker Franciszek Stefaniuk die Ablehnung seiner Fraktion.
Tatsächlich sind im konservativen Polen homophobe Einstellungen nach Ansicht von Experten tief verwurzelt und schwer zu ändern. Die renommierte Autorin und Feministin Agnieszka Graff betont, dass vor allem rechte Gruppen Schwule immer wieder mit Juden assoziierten. „Schwuler, also Jude“, sei ein gängiges Meinungsbild, das nicht nur in Fußballstadien zu hören, sondern auch in allzu vielen polnischen Köpfen als Bild manifest sei, schreibt Graff in ihrem Buch „Rykoszetem“ („Abprall“), in dem sie die Zusammenhänge zwischen Nation und Sexualität untersucht. „Heute sind es Schwule, die wie die Juden in den 1930er Jahren die Quelle des Anstoßes sind“, so Graff. Homosexuellen werde zugeschrieben, „Schädlinge“ und Verschwörer sein.
Vereinzelte positive Signale selbst aus der katholischen Kirche
Um diese falschen Feindbilder wirksam zu bekämpfen, müssten zivilgesellschaftliche Organisationen noch stärker zusammenarbeiten, sagt die Soziologin und Aktivistin Agnieszka Wisniewska von der linken Nichtregierungsorganisation „Krytyka Polityczna“ („Politische Kritik“) aus Warschau. „Man darf die Probleme nicht privatisieren und in der Großstadt-Anonymität untertauchen“, sagt sie.
Tomasz Kolodziejczyk taucht ganz und gar nicht unter. Er streitet mit seinem Verein für die Sache von Homosexuellen nicht nur bei Debatten, bei denen das Publikum Wohlwollen zeigt. Sondern er geht auch mit anderen Aktivisten auf die Straße, wo sie mitunter von Nationalisten und rechten Fußballfans angegriffen oder mit Eiern beworfen werden. Es gebe aber auch positive Signale, sagt er – selbst aus der katholischen Kirche. „Wir haben Kontakte mit katholischen Gruppen, die offen für Fragen der Antidiskriminierung sind.“ Auch die Stadt Katowiceöffne sich zunehmend – und habe dem Verein mehrere Projekte etwa zur HIV-Prävention anvertraut. „Wir kämpfen darum, gehört zu werden.“
Quellen:
Bericht über die Situation von Homosexuellen in Polen in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza (Onlineausgabe)
http://wyborcza.pl/1,75478,15955865,W_Polsce_sytuacja_osob_LGBT_jest_gorsza_niz_w_Albanii.html
Die Situation von LGBTI-Gruppen in Europa, Analyse der Organisation ILGA-Europe (englisch):
http://www.ilga-europe.org/home/publications/reports_and_other_materials/rainbow_europe
Gespräche mit dem Aktivisten Tomasz Kolodziejczyk (Verein Teczowka) und der Soziologin Agnieszka Wisniewska (Krytyka Polityczna)