Rumänien

Der lange Schatten Ceausescus

Seit zwei Tagen ist das neue Leben auch bei ihnen eingezogen. Aber als kleines Mädchen kommt man an das neue Leben nicht heran. Der Vater hat die Bananen auf den Heizkörper gelegt. Noch grün wie die Gurken sollen sie nachreifen. Die kleine Roxana ist enttäuscht, an Gurken hat es bisher nicht gemangelt. Den Aufbruch in die Zukunft hat sie sich anders vorgestellt.

Jeder Rumäne, der vor der Revolution 1989 geboren ist, kann seine Geschichte erzählen über jene Tage im Dezember vor 25 Jahren, die die vermeintliche Geburt eines demokratischen Staates bedeuteten. Diese Handvoll Tage, als Bilder vom toten Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena durch die Welt gingen, standrechtlich erschossen am ersten Weihnachtstag. Damals sind Schätzungen zufolge mehr als 1.100 Menschen auf den Straßen des Landes für die Revolution gestorben.

Am Universitätsplatz in Bukarest erinnern Marmorplaketten an die Toten. Jede mit einem kleinen Bild von ernst blickenden jungen Männern, von Plastikblumen eingerahmt. Und darunter: „Helden der Freiheit“. Doch es ist eine Freiheit, die heute manch einer wieder eintauschen würde: Aktuellen Umfragen zufolge war der Diktator der beste Präsident aller Zeiten. Das Ende des Kommunismus hat vielen Rumänen den Boden unter den Füßen weggezogen. Und lange ist kein Fundament nachgewachsen.


Flucht mit Helikopter

Targoviste ist ein beschauliches Städtchen rund 80 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Bukarest. Auf dem kleinen Busbahnhof steht ein Dutzend Reisewilliger, raucht, schwatzt und spuckt die Schalen von Sonnenblumenkernen aus. Wo es hier zum Museum geht, kann keiner der Wartenden sagen. Museum? Davon haben sie hier noch nie etwas gehört. „Das Fräulein will wissen, wo sie erschossen wurden“, sagt schließlich eine ältere Frau. „Ah“, raunt die Runde. „In der Militärakademie!“, erklärt der Jüngere.

Namen muss man hier keine nennen. Targoviste weiß um das berühmte Paar, das hier sein Ende gefunden hat. Die Ceausescus waren am 22. Dezember mit dem Helikopter vor den Protesten in Bukarest geflohen. Ohne Sprit, so heißt es, seien sie in Targoviste notgelandet, wo das Militär sie festsetzte.

Es gibt viele Geschichten rund um diesen Tod. Bis zur Exhumierung der Leichen am Bukarester Friedhof Ghencea im Jahr 2010 haben einige sogar daran gezweifelt, dass die beiden wirklich gestorben sind, an diesem verschneiten 25. Dezember. An der gelben Wand, die nun das Herzstück eines Museums darstellt. Im vergangenen Jahr hat eine Initiative die Räumlichkeiten, in denen das Ehepaar die letzten Tage verbrachte, öffentlich zugänglich gemacht.


Früher gab es Kuchen

Ein Modell des Betts, in dem sie geschlafen haben, aber nicht das Original, das Telefon im Zimmer des Kommandanten, wahrscheinlich das Original. Die Einschusslöcher in der Wand, für einen Film nachträglich hinzugefügt. Mehr als ein bisschen Schauer hat das Museum nicht zu bieten. Vielleicht bleiben auch deshalb die Besucher aus.

In Bukarest hat sich Roxana kurz nach Mitternacht noch Hühnchen und Paprika aus dem Supermarkt an der Ecke geholt, dessen grelles Licht im Erdgeschoss eines grauen Wohnblocks bis tief in die Nacht Kunden anzieht. Der Block stammt aus dem Kommunismus, als Ceausescu Teile des historischen Bukarest abreißen ließ, um seine Vorstellung von Architektur zu realisieren. Endlos erstrecken sich heute die gelben Hochhäuser wie dreckige Perlen an den schnurgeraden Boulevards. Früher boten hier kleine Kioske das Nötigste an, längst ist die Warenvielfalt in den Regalen eingezogen. Unvorstellbar heute, dass sich kleine Kinder kaum mehr nach Hause trauten, weil sie eine Flasche Milch verschüttet hatten, so wie es der heute 30-jährigen Roxana im Kindergarten ergangen war.

Doch die Taschen vieler Rumänen sind leer, vor allem seit der Wirtschaftskrise, die Rumänien 2009 hart getroffen hat. Nun finanzieren die Banken den Rumänien ihr Leben auf Kredit nicht mehr. Der Monat vieler Rentner wie der von Camelia Ene teilt sich deshalb in zwei Hälften. Die erste bedeutet Wurst und Honig, die zweite meist nur noch Maisbrei. „Früher habe ich auch Kuchen gegessen“, sagt die 70-Jährige und meint damit das Leben vor der Revolution 1989. Camelia Ene ist kein Einzelfall. Rumänien wird heute von geographischen, sozialen und demographischen Grenzen durchzogen. Und dem modernen Leben in den Städten steht die Provinz gegenüber, in der viele Menschen noch von dem leben, was sie selbst anbauen.


Mütter bedauern ihre Töchter

Aus der Provinz stammt auch Roxana. Von Kindesbeinen an hat die Journalistin und Umweltaktivistin davon geträumt, vom Osten des Landes nach Bukarest zu ziehen. „Es war nicht die Politik, sondern die Armut, die mich dazu getrieben hat“, sagt sie. Trotz ihrer Herkunft ist die junge Frau eine typische Vertreterin der jungen Generation im Land. Ausgebildet in Rumänien und Belgien spricht Roxana besser Französisch und Englisch als viele ihrer westeuropäischen Kollegen.

In Europa sieht sie ihre Heimat, der Kommunismus taucht nur in den Erzählungen der Mutter auf. War sie jemals neidisch auf die anderen, in Westeuropa Geborenen? Ja, nickt Roxana. Allerdings nicht für sich. „Ich beneide die Westler darum, in Würde altern zu können“, erklärt sie, die ehrenamtlich in einem Altersheim arbeitet. Die Alten, sie haben den rumänischen Systemwechsel am wenigsten verkraftet.

Doch längst nicht alle verteufeln die früheren Verhältnisse. Mütter bedauern ihre Töchter für deren Kinderlosigkeit mit 25 Jahren. Väter, denen die jahrzehntelange Arbeit den Rücken gekrümmt hat, schauen den Söhnen ratlos zu, wie diese sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten. Die Menschen vermissen ihre Verwandten, die im Ausland arbeiten, und von denen sie wirtschaftlich abhängig sind. Die Tanten vom Land schütteln ungläubig den Kopf, wenn sie von den Mietpreisen in den Städten hören.


Westliche Standards halten Einzug

Den Älteren stecken zudem noch die Erinnerungen an die neunziger Jahre in den Knochen, als die Wirtschaftsleistung im Vergleich zur Vorwendezeit um ein Viertel einbrach. Als halb Rumänien wieder mit Tauschhandel den Lebensunterhalt bestritt, während manch einer über Nacht unsagbar reich wurde und niemand genau sagen konnte, wie. Geschäftemachen galt in diesen Jahren als die Summe aller Möglichkeiten.

Was heute verkürzt als verlorenes Jahrzehnt bezeichnet wird, birgt für viele eine Erfahrung von Mangel, wie ihn selbst die Kommunisten erst ab Mitte der achtziger Jahre zustande brachten, als das Land endgültig sozial und wirtschaftlich implodierte. Erst im Jahr 2000 konnte Rumänien wieder an das Wirtschaftsniveau der Wendezeit anschließen. Seither hat Rumänien seine Wirtschaftsleistung immerhin auf 14.000 Euro pro Kopf und Jahr knapp verdreifacht.

25 Jahre nach der Revolution ist Rumänien nicht wiederzuerkennen. Längst ist das Land Mitglied der EU und NATO. Und langsam beginnen die Behörden, westliche Standards einzuführen. Die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft DNA führt einen mühsamen Kampf gegen frühere Gepflogenheiten – und macht auch vor den wirklich Mächtigen nicht halt. So wurde der ehemalige sozialdemokratische Regierungschefs Adrian Nastase wegen Korruption verurteilt und inhaftiert. Nur die Aufarbeitung der eigenen, der sozialistischen Vergangenheit stockt, der Bruch mit der früheren Elite hat nie stattgefunden.  

Für die junge Generation spielt dies alles überwiegend keine Rolle mehr. Für sie ist Ceausescu ein alter Herr, dessen Bild an der Wand vergilbt.


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