Unabhängigkeitstag endet im Chaos
Bei Kundgebungen zum polnischen Unabhängigkeitstag ist es am späten Dienstagnachmittag in Warschau zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Beim „Marsch der Unabhängigkeit“ von rechten und rechtsradikalen Parteien und Gruppen bewarfen am späten Nachmittag teils vermummte Teilnehmer Polizisten mit Leuchtraketen und anderen Gegenständen.
Vor allem an der Spitze des Zuges, der nach unterschiedlichen Schätzungen mehrere zehntausend bis 50.000 Teilnehmer fasste, kam es zu Auseinandersetzungen und Verhaftungen. Medienangaben zufolge gab es mehrere Verletzte. Die Polizei blockierte am späten Nachmittag zwischenzeitlich den Zug und drohte mit härterem Durchgreifen. Polizeiangaben zufolge beteiligten sich mehrere hundert gewaltbereite Hooligans an dem Demonstrationszug.
Verteidigung gegen Brüssel
Im ganzen Land wurde am Dienstag bei meist friedlichen Kundgebungen der 1918 wiedererlangten Staatlichkeit Polens erinnert. Allein in Warschau gab es 13 Veranstaltungen. Beim staatlich organisierten Marsch „Gemeinsam für die unabhängige Republik“ gingen am frühen Nachmittag Präsident Bronislaw Komorowski und Regierungschefin Ewa Kopacz an der Spitze. „Wir sollten gemeinsam gehen und handeln, denn immer, wenn wir das taten, haben wir gesiegt“, sagte Komorowski zu Beginn des als fröhlich-patriotische Familienveranstaltung angelegten Zugs mit mehreren zehntausend friedlichen Teilnehmern.
Vor allem rechtsradikale Gruppen liefen nicht bei der friedlichen Kundgebung mit, sondern trafen sich zwei Stunden darauf beim „Marsch der Unabhängigkeit“. „Wir demonstrieren für die Unabhängigkeit Polens, die man auch heute verteidigen muss, vor allem gegen Brüssel“, sagte Mitorganisator Krzysztof Bosak. Der 32-jährige Politiker ist Mitglied der rechtsradikalen Splitterpartei Nationale Bewegung (RN), er trommelte gegen „das linksliberale Establishment der EU, das uns seine Kultur aufoktroyiert und unter dessen wirtschaftlicher Knute wir ächzen“.
Die Organisatoren hatten zwar zuvor beteuert, sie wollten für eine friedliche Kundgebung sorgen. Doch gleich zu Beginn skandierten Hooligans aggressive Parolen wie: „Schlagen wir das rote Gesindel mit dem Hammer und dem Sichel.“ Bereits am Vormittag, also vor dem nationalistischen „Marsch“, hatte die Polizei mehrere Vermummte am Erlöserplatz (Plac Zbawiciela) festgenommen. Dort steht eine Regenbogeninstallation, die das tolerante Polen symbolisieren soll und die im Vorjahr am Unabhängigkeitstag in Brand gesetzt wurde.
Stramm nationale Symbolik
Die Polizei riegelte zudem einige Straßen ab, in denen anarchistische Gruppen und linke Hausbesetzer leben, um Zusammenstöße zwischen linken und rechtsradikalen Gruppierungen zu verhindern.
Seit vor drei Jahren rechte und linke Gruppen gewaltsam aneinandergeraten waren, nutzen vor allem Nationalisten, aber auch gewaltbereite Fußballfans den Unabhängkeitstag zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Linke und antifaschistische Gruppen hatten bereits am vergangenen Samstag ihren eigenen Protestzug organisiert, unter dem Motto „Zusammen gegen Nationalismus“. Und dies ganz bewusst. „2011 trug unsere Mobilisierung dazu bei, dass die Rechten in der Folge an Zulauf bekamen“, sagt der linke Aktivist Maciej Gdula. Es werde daher einige Jahre dauern, bis man den 11. November mit eigenen Inhalten jenseits stramm nationaler Symbolik füllen könne.
Wie schwach liberale und linke Gruppen sind, zeigte ein Protest gegen die Kranzniederlegung Komorowskis am Denkmal von Roman Dmowski, einer Galionsfigur der polnischen Rechten. Dmowski war 1918 als Unterhändler in Versailles an der Wiedererlangung von Polens Unabhängigkeit beteiligt, Kritiker bezeichnen ihn jedoch als Antisemiten und Sympathisanten der Nationalsozialisten.
Kritik an Präsident Komorowski
Rund ein Dutzend polnischer Intellektueller forderte Komorowski in einem offenen Brief auf, auf eine Kranzniederlegung zu verzichten. Doch dieser ging nicht darauf ein. Das nationale Dmowski-Lager haben seinerzeit „eine große Rolle beim Erwachen des Nationalbewusstseins gespielt“, lautete Komorowskis Antwort.
Die oppositionelle nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hatte Dmowskis Denkmal bereits am Dienstagvormittag aufgesucht. „Wir müssen den polnischen Staat geistig, materiell und militärisch stark machen“, sagte PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski. „Denn nur die Starken können auf Verbündete zählen.“ Der von nationalen Kräften organisierte Marsch sollte am Abend an der Wurzel ihrer Bewegung enden – am Geburtshaus Dmowskis.