Das neue Jüdische Museum in Warschau
„Das ist ein Museum des Lebens und nicht des Todes“, betont Zbigniew Stepinski immer wieder. Stepinski ist der stellvertretende Leiter des Museums der Geschichte der polnischen Juden. Bereits seit einem Jahr steht das moderne Gebäude direkt gegenüber dem Denkmal der Helden des Warschauer Ghetto-Aufstands für Besucher offen. Am Dienstag wird die Dauerausstellung eröffnet. Dabei sein wird nicht nur der polnische Präsident Bronislaw Komorowski, sondern auch sein israelischer Kollege Präsident Re'uwen Rivlin.
Marian Turski hat seit Jahren auf die Ausstellung gewartet. „Das Museum soll sich an die Polen richten, vor allem die jungen, damit sie erfahren, dass es überhaupt Juden in Polen gab“, sagt der 88-jährige Journalist. „Und an die Juden, vor allem die jungen Israelis, damit sie wissen, dass wir ein Teil der Geschichte ihrer Nation sind.“ Für Turski hat das Museum auch eine persönliche Bedeutung: Im Holocaust kamen sein Vater, Bruder und 40 weitere Verwandte ums Leben. „Es ist ein Andenken an alles, was sie und ihre Vorfahren hier in Polen geschaffen haben“, sagt er.
Zeigen, wie Juden gelebt haben - nicht nur, wie sie gestorben sind
Barbara Kirshenblatt-Gimblett hat die Dauerausstellung mit entworfen. Die Kanadierin hat als Beraterin etwa für das Holocaust Museum in Washington und das Jüdische Museum in Berlin gearbeitet. „Es gibt viele Museen über die Juden und den Holocaust“, sagt die kleine, energische Frau. „So viele, dass man heute viele besser weiß, wie die Juden gestorben sind, als wie sie gelebt haben. Die Ausstellung soll diese Lücke schließen.“
Der stellvertretende Museumsleiter Stepinski steht unter einer opulent mit Pflanzen, Tieren, Sternzeichen verzierten Deckenkonstruktion einer hölzernen Synagoge. So haben die ostpolnischen Juden einst ihre Gotteshäuser geschmückt. Die Decke ist ein Teil der „Galerie Schtetl“ des Museums. Sie zeigt das Leben in den früher für Ost- und Südostpolen so typischen jüdischen Städtchen, in denen fast ausschließlich Jiddisch gesprochen wurde und wo der Chassidismus, eine der wichtigsten religiösen Strömungen des Judentums, entstand. In acht multimedialen Galerien auf 4.000 Quadratmetern werden tausend Jahre jüdischer Geschichte in Polen gezeigt. Nur eine beschäftigt sich mit dem Holocaust.
Selbst Ben Gurion stammte aus Polen
Die Ausstellung sei so konzipiert, dass die Besucher die wichtigsten Facetten des jüdischen Lebens in Polen erfahren, sagt Stepinski. „Die Vorkriegszeit zeigen wir am Beispiel von Warschau, wo die jüdische Bevölkerung besonders aktiv war. Wo es jüdische Schulen gab, Theater, Restaurants, eine Stadt in der Stadt, in der die fast 350.000 Menschen zählende jüdische Population nach eigenen Regeln lebte.“
Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten in ganz Polen 3,5 Millionen Juden. Die nicht assimilierten entwickelten das Judentum entscheidend weiter, die assimilierten beeinflussten die polnische Kultur oder Wirtschaft. Doch auch im Ausland waren die polnischen Juden sichtbar: Die US-Filmindustrie wurde von ausgewanderten polnischen Juden aufgebaut, Ben Gurion, der erste Premierminister Israels, wurde 70 Kilometer von Warschau entfernt geboren.
Museum bildet auch Lehrer aus
Auch Antisemitismus und Verfolgung schon vor der deutschen Besatzung werden in den Galerien behandelt. „Wir wollen Fakten, ihren Kontext und ihre Folgen zeigen und einen soliden Boden zum Meinungsaustausch bereiten“, sagt Stepinski. Schon jetzt bildet das Museum Lehrer aus, die an Schulen über die guten und schlechten Zeiten in der jüdischen Geschichte Polens erzählen sollen, es gibt Workshops und Vorträge für Kinder und Erwachsene. Das Museum will Vorurteile abbauen: gegen Juden in Polen, aber auch gegen Polen in Israel.
Der israelische Student Bar Armon nimmt gerade an einem Austauschprogramm des Museums teil und hat so zum ersten Mal mehr über die jüdische Geschichte und Gegenwart in Polen abseits des Holocaust erfahren. „Alle Jugendgruppen aus Israel, die nach Warschau kommen, sollten nach dem Abschluss ihrer Reise, in der sie sich ausschließlich mit dem Tod und dem Holocaust beschäftigt haben, hier einen Workshop machen“, findet er. „Dann würden sie auch die andere Seite des Bildes sehen, nicht nur den Tod.“
Die letzte Galerie des Museums ist mit einem offenen Ende gestaltet, wie Stepinski sagt. Denn nach 1989 sei das jüdische Leben wiederbelebt worden. „Es gibt wieder jüdische Schulen, jüdische Zeitschriften, jüdische Bräuche und Traditionen.“ Das jüdische Leben werde wieder sichtbar. „Vielleicht ist es auch ein Zeichen für den Sieg des Lebens über den Tod. Etwas, das für immer verschwinden sollte, kann sich nun wieder entwickeln.“