Polen

Steine des Anstoßes

Mieczyslaw Jurek schaut unwillig in die Kamera, die buschigen Augenbrauen zusammengezogen. Es passt ihm gar nicht, dass er vor dem sowjetischen „Denkmal der Dankbarkeit“ fotografiert wird – mitten in Stettin auf dem Platz des Polnischen Soldaten. „Grauenvoll!“, meint er.

Jurek gehörte zu den Solidarnosc-Aktivisten der ersten Stunde. Seit 16 Jahren steht der ehemalige Eisenbahner an der Spitze der Gewerkschaft in Stettin. Und er ist einer derjenigen, die von der Stadtverwaltung den Abriss des Denkmals fordern. Eigentlich hätten die Russen es gleich bei ihrem Abzug mit nach Moskau nehmen sollen, grollt er. Die Polen schrieben ihnen ja auch nicht vor, welche Denkmäler sie auf dem Roten Platz aufstellen sollten. „Wir sind hier die Hausherren, nicht die Russen!“, sagt der 60-Jährige bestimmt. Das Heft des Protestes aber halten die Jüngeren in der Hand.

Zum Beispiel Bartlomiej Ilcewicz. Der 34-jährige Historiker hat die Forderungen zur Demontage des „Denkmals der Dankbarkeit“ gebündelt. „Dankbarkeit wofür?“, fragt er zynisch, während er zu dem rötlichen Flachrelief am Obelisk hochschaut: ein polnischer Bauer und ein russischer Soldat Hand in Hand. „Dankbarkeit für Raub, Gewalt und Mord, die die Russen auf diesem Territorium nach dem Zweiten Weltkrieg begangen haben?“


„Die, die uns solchen Schmerz zugefügt haben, werden glorifiziert

Ilcewicz gehört zu einem Zusammenschluss von patriotischen Vereinen in Stettin und hat eine „Nationale Garde“ mitgegründet, die sich als polnische Selbstschutz-Organisation versteht, ins Leben gerufen unter anderem als Reaktion auf die russische Aggression in der Ukraine. Ilcewicz wirkt erfüllt von seiner Mission, als er sich den breiten Stufen des Denkmals nähert. Ihm reicht es nicht, dass die Spitze samt rotem Stern schon 1992 gekappt wurde. „Ich kann es nicht zulassen, dass hier Soldaten, die unserem Land solchen Schmerz zugefügt haben, glorifiziert werden.“ Zudem sei das Monument auch ein ästhetisches Problem, sagt er und weist auf die zerbröselnden Treppen, die Lache von Erbrochenem auf dem Sockel, die Verfärbungen zwischen den Steinen.

Erst im September hat die Stettiner Stadtverwaltung bekannt gegeben, dass die russische Seite keine Einwilligung zum Abriss gegeben hat. Die Russen berufen sich auf den polnisch-russischen Vertrag von 1994 zum Schutz von Gräbern und Erinnerungsorten auf polnischem Territorium. Die Stadt hat angekündigt, „unter Berücksichtigung der geplanten Modernisierung des Platzes“ einen weiteren Antrag zu stellen.

Zwei junge Männer überqueren den langgezogenen, von Linden gesäumten Appellplatz vor dem Denkmal. Sie sind Ukrainer und werden in Stettin zu Matrosen ausgebildet. Was sie mit dem Denkmal assoziieren? „Das sind Helden“, sagen sie in gebrochenem Polnisch. Eine ältere Frau reißt erstaunt die Augen auf, als sie von dem Denkmal-Streit erfährt. Das Monument störe doch gar nicht. Die öffentliche Meinung zu dem Denkmal ist gespalten, glaubt der Soziologe Maciek Kowalewski von der Stettiner Universität. Die Mehrheit aber lehne es ab. Die Denkmalgegner seien gut organisiert, stellt Kowalewski fest.


Stettin: Vor kurzem schrieb jemand „Katyn“ af den Sockel

Vor einiger Zeit hat jemand das Wort „Katyn“ auf den Sockel geschrieben. Die Stadt ließ es entfernen. Das Wort reicht in Polen aus, um an die Ermordung von mehr als 4.000 polnischen Offizieren durch die Sowjets im Jahr 1940 zu erinnern, und ist Synonym für einen als übermächtig empfundenen Nachbarn. „Das Wort zeigt die Hilfslosigkeit der Aktivisten gegenüber den Behörden“, sagt Kowalewski. Er erinnert an das Projekt des Künstlers David Cerny, der 1991 einen sowjetischen Panzer in Prag rosa angestrichen hatte – das Objekt wurde zum Symbol des tschechoslowakischen Widerstands gegen die Sowjets. Kowalewski lächelt leicht. Ohne Zweifel würde er eher mit einer Kunstaktion als mit einem Abriss des „Denkmals der Dankbarkeit“ sympathisieren.

„Die aktuelle Situation in der Ukraine hat den Streit über die sowjetischen Denkmäler neu entfacht“, sagt er – und zwar gleichermaßen in den Städten wie im ländlichen Raum. Da im ehemals deutschen Westpolen aus propagandistischen Gründen aber besonders viele Denkmäler errichtet wurden, konzentriere sich dort der Protest. Doch auch in Warschau gab es Proteste, als das „Denkmal der Waffenbrüderschaft“ auf dem Wilnaer Platz, das für U-Bahn-Bauarbeiten entfernt worden war, wieder aufgestellt werden sollte. Im masurischen Pieniezno wurde im Mai das Denkmal des sowjetischen Armeegenerals Iwan Tschernjachowski beschmiert.

Doch nicht alle sowjetischen Denkmäler sind so umstritten, nicht alle roten Sterne provozieren. In der Kleinstadt Chojna, 60 Kilometer südlich von Stettin, ist ein sorgfältig gepflegtes Mahnmal zu sehen. Schilder auf Russisch, Polnisch und Deutsch erklären die besondere Geschichte dieses Ortes: Als der Ort noch Königsberg in der Neumark hieß, stand hier die Gertrudenkapelle mit Friedhof, seit 1950 ist es eine Grabstätte für 3.859 sowjetische Soldaten. „Sie kämpften auf beiden Seiten der Oder und starben für die Freiheit. Ihnen gebührt Ruhm und Ehre!“, ist auf Steintafeln zu lesen. Die beiden Grabfelder laufen auf das 1971 errichtete Denkmal zu, das Konturen von Soldaten mit Gewehren zeigt. Die roten Früchte der sorgfältig gestutzten Eibenhecken passen zu den roten Sowjetsternen auf den Grabplatten. „Begräbnisstätten werden anders betrachtet als Denkmäler in einer weltlichen Umgebung“, sagt der Soziologe Kowalewski. Auf einem Friedhof würden selbst umstrittene historische Gestalten respektiert.

In Chojna ist der Friedhof mit einem Mahnmal für gefallene Sowjetsoldaten gut erhalten. / Andreas Krufczik, n-ost

Ein sehr exponiertes sowjetisches Monument in Polen wurde indes schon längst demontiert – wenn auch nicht aus politischen Gründen: Über der Festung Küstrin im heutigen Kostrzyn erhob sich das Denkmal wie ein drohend aufgerichteter Zeigefinger, blickte arrogant auf die Oder hinab und war über Kilometer hinweg von deutscher und von polnischer Seite sichtbar.

„Das Denkmal hatte drei Funktionen“, erklärt Ryszard Skalba, Leiter des Festungsmuseums, nachdem er sich den alten Kopfsteinpflasterweg hochgearbeitet hat: „Es war ein Zeichen der Dankbarkeit gegenüber den gefallenen sowjetischen Soldaten. Zweitens hatte es das propagandistische Ziel, Präsenz zu zeigen gegenüber der benachbarten DDR wie den auf der Oderinsel Kietz stationierten sowjetischen Soldaten.“ Außerdem sollte die nach Berlin ausgerichtete Kanone abschreckende Wirkung haben.


Kostrzyn: Das Sowjetdenkmal ist weg, das deutsche restauriert

Heute ist nur noch ein brüchiger Betonsockel zu sehen, überwuchert von bescheidenen Bodendeckern. Schilder warnen vor dem Betreten. 2008 musste das Denkmal abgebaut werden, weil die Bastion stark einsturzgefährdet ist. „Das waren rein statische Gründe, keine politischen“, betont Museumsleiter Skalba. Die Stadt hatte Grabstellen vorbereitet, um die Überreste der Gefallenen auf den kommunalen Friedhof umzubetten. Die Gräber aber waren zum Erstaunen aller leer – Generationen von polnischen, sowjetischen und später russischen Politikern und Funktionären hatten auf einem nur vermeintlichen Friedhof Kränze abgelegt und Kerzen angezündet.


Vom sowjetischen Denkmal auf der Festung Küstrin blieben nur Trümmer. Über die hütet Museumsleiter Ryszard Skalba. / Andreas Krufczik, n-ost

Der Sowjetstern, die Urnen und die Inschrift des verschwundenen Denkmals sind heute im Festungsmuseum zu besichtigen, in einer Ausstellung, die mit allen Mitteln der modernen Museumspädagogik die Geschichte dieses umkämpften Ortes erklärt: Dioramen, Fotos in Lebensgröße, Filmaufnahmen, in der Erde gefundene Alltagsgegenstände, aber auch Gewehre und Panzerfäuste.

Der ganze Stolz von Museumsleiter Skalba aber ist der restaurierte Sockel des Denkmals für Markgraf Hans von Küstrin, den Erbauer der Festung. Der glatte, helle Granitstein steht inmitten der zerstörten, nie wieder aufgebauten Altstadt von Küstrin und überragt eine grün überwucherte Brachfläche. „Das haben wir aus eigenen Mittel finanziert“, betont Skalba. „Denn wir schätzen Denkmäler hoch!“


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