Polen

Geheimdienst-Spitzel und Oppositioneller

Wladyslaw Kostrzewski lacht. Immer wieder. Vor allem, wenn er von den schwierigen Jahren 1981 bis 1983 erzählt, als er als Leiter der lokalen Solidarnosc in Gliwice immer wieder verhaftet wurde. Jener Zeit also, in der viele gemeinsam mit ihm Internierte glaubten, dass die Sicherheitsdienste sie irgendwann umbringen würden. „Als wir in ein Gefängnis in Ostpolen gebracht wurden, sagte einer meiner Mithäftlinge: Jetzt werden sie uns dort verscharren“, sagt der 66-Jährige. Dann zündet er sich im Gliwicer Pub Hemingway entspannt eine Zigarette an.

Am 13. Dezember 1981 hatte die kommunistische Führung in Warschau das Kriegsrecht ausgerufen, um der im damaligen Ostblock einzigartigen Solidarnosc-Bewegung den Garaus zu machen. Landesweit wurden Tausende Oppositionelle interniert. Erst im Sommer 1983 wurde das Kriegsrecht offiziell beendet. „Danach ging es darum, den Geist der Solidarnosc am Leben zu erhalten. Bis zur Ausrufung des Kriegsrechts war das noch eine Euphorie wie auf Drogen gewesen“, sagt Kostrzewski und sein lautes Lachen hallt durch den noch leeren Pub.

Vielleicht sind die Distanz zu den damaligen Ereignissen und sein Lachen das, was den pensionierten Anästhesisten nicht völlig verbittern lässt. Denn eigentlich ist Kostrzewski stinksauer. „Heute haben wir nicht das, wofür wir gekämpft hatten. Die Solidarnosc wurde betrogen, die Bolschewiken und ihre Nachfolger halten die Macht bis heute“, sagt er. Er schimpft über Korruption, die wilde Privatisierung nach der Wende, von der die alten Eliten profitiert hätten, das staatliche Fernsehen TVP, das sie seit 1993 dominierten.


Staatsanwalt Andrzej Macher untersucht am „Institut für Nationales Gedenken“ (IPN) in Katowice Lustrationsfälle. / Adam Lakomy, n-ost

Eine positive Sache habe die Wende Polen immerhin gebracht, findet Kostrzewski: die Aufarbeitung der Machenschaften inoffizieller Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes. Und dass diese von teils, wie er sagt, „äußerst gewissenhaften“ Staatsanwälten im Institut für Nationales Gedenken (IPN) vorgenommen wird.

Zu ihnen gehört Andrzej Majcher, der in der oberschlesischen Abteilung des IPN in Katowice arbeitet. Auf seinem Schreibtisch liegen gut sortiert die Akten aktueller Lustrationsfälle. Als „lustracja“, „Durchleuchtung“, wird in Polen die Aufarbeitung einstiger Mitarbeit bei den Sicherheitsdiensten der Volksrepublik bezeichnet.


300.000 Polen wurden auf Spitzeltätigkeiten durchleuchtet

„Eine Menge Akten sind 1989 und danach zerstört worden, aber Informationen über inoffizielle Mitarbeiter finden sich in ganz unterschiedlichen Dokumenten, deshalb können wir sie auf Umwegen rekonstruieren“, sagt Majcher, der seit der Etablierung des Instituts im Jahr 2000 dabei ist. Im ganzen Land wurden und werden rund 300.000 Personen auf eine geheime Mitarbeit oder offizielle Tätigkeit beim Sicherheitsdienst durchleuchtet.

In Polen muss eine Vielzahl von Funktionsträgern Erklärungen darüber abgeben, ob sie offiziell oder inoffiziell mit den kommunistischen Geheimdiensten zusammengearbeitet haben. Laut der ersten Gesetzfassung von 1998 traf das nur hochrangige Vertreter in Staatsämtern. Seit 2006 müssen aber auch Direktoren staatlicher Schulen oder Kandidaten für Stadt- und Gemeinderäte eine Erklärung abgeben.

Das IPN überprüft die Erklärungen, und wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen, kann die Person als „Lustrationslügner“ verurteilt und mit einem mehrjährigen Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter belegt werden. „Bestraft wird nicht die Zusammenarbeit, sondern nur die falsche eidesstaatliche Erklärung“, betont Staatsanwalt Majcher. Wird eine Tätigkeit gestanden, wird dies nicht geahndet.


In Katowice steht eines von zehn Regional-Archiven des IPN mit Akten zu inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. / Adam Lakomy, n-ost

Aus den gut 90 Aktenkilometern in den Archiven des IPN in Warschau und in zehn regionalen Abteilungen geht hervor, dass sich die Motivation zu TW-Tätigkeiten im Laufe der Zeit änderte. In der brutalen Ära des Stalinismus bis Mitte der 1950er-Jahre war Angst die stärkste Triebfeder. „In den 80ern aber war es meist schlichter Konformismus und konkreter Nutzen, der die Menschen zur Mitarbeit bewog – etwa eine bessere Arbeitsstelle, ein Reisepass und die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen“, sagt Majcher.


Eine Reiseerlaubnis in die USA war der Anreiz

Auch Wladyslaw Kostrzewski hoffte auf Vorteile, als im August 1977 ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes auf ihn zukam. „Er sagte, dass ich einen Pass und eine Reiseerlaubnis in die USA erhalten könnte, wo seit den 60ern meine Eltern und mein Bruder lebten“, berichtet das spätere Solidarnosc-Mitglied. Daher habe er eine „Deklaration der Zusammenarbeit“ unterzeichnet. Darüber zu reden, fällt dem 66-Jährigen offenbar nicht schwer; er spricht weiter laut, auch wenn inzwischen andere Gäste am Nachbartisch im Pub sitzen.

Der Sicherheitsdienst sei vor allem an der Tätigkeit seines Vaters interessiert gewesen, der in den USA Atomkraftwerke projektierte, berichtet Kostrzewski und lacht wieder. Seinen erhofften Pass erhielt er jedoch zwei Jahre lang nicht. Weil er, wie er sagt, keine verwertbaren Informationen lieferte, auch nicht über seine Kollegen in Polen. „Was ich gemacht hätte, wenn ich den Pass bekommen hätte? Vielleicht wäre ich zur CIA gegangen, damit sie mir helfen“, scherzt er.

Die Anwerbung von TW, berichtet Staatsanwalt Majcher, „funktionierte nicht nach dem Prinzip: Liefere eine Information und dann erhältst du den Pass.“ Vielmehr sei es darum gegangen, eine individuelle Beziehung aufzubauen. Die Beziehung zwischen Kostrzewski und dem zuständigen Beamten lief offenbar nicht gut. Als der damals 31-jährige Arzt 1979 nach Gliwice umzog, lehnte er eine weitere Zusammenarbeit ab. Auch, als ihm gedroht wurde, die frühere Kooperation bekannt zu machen, blieb es beim Nein, wie er heute erzählt – schließlich sei er für die Behörden nach seiner Unterschrift nie wirklich tätig geworden. „Als dann im August 1980 die Solidarnosc entstand, dachte ich mir: Zum Teufel mit dem Sicherheitsdienst.“ Beinahe alle seine Kollegen seien damals der Solidarnosc beigetreten, es sei plötzlich großes Verantwortungsbewusstsein für das Land entstanden, die Angst sei gewichen. Und so habe er sogar die Leitung des lokalen Gewerkschaftskomitees im Gesundheitswesen übernommen.


Kostrzewski ließ freiwillig seine Vergangenheit aufdecken

2008 wirft ihm eine Bekannte eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit auch nach 1979 vor. Kostrzewski leitet daraufhin freiwillig seine eigene Lustration ein. Er erklärt eidesstaatlich, 1977 bis 1979 beim Sicherheitsdienst unterschrieben zu haben, für die Zeit danach aber sauber zu sein. 2011 bestätigt ein Gericht rechtskräftig, dass dies der Wahrheit entspricht. „Der Staatsanwalt des IPN, der mich verhörte, hatte fast schon Stasi-Methoden drauf. Aber das war gut, denn wenn man etwas finden will, muss man genau sein“, sagt Kostrzewski.


Wladyslaw Kostrzewski iund seine Mitstreiter konnten den Kommunisten ein Gebäude abtrotzen, das heute ein Kindergarten ist. / Adam Lakomy, n-ost

Nicht alle Polen bewerten die Lustration so positiv. Vor allem all jene nicht, die durch das IPN als „Lügner“ überführt wurden. Allein im Jahr 2013 haben Gerichte 135 Personen als solche verurteilt. In den vergangenen 15 Jahren traf die Lustration auch die höchsten Ämter des Staates, die umstrittensten Fälle waren die von Ex-Premier Jozef Oleksy sowie der Solidarnosc-Ikone Lech Walesa. Oleksy hatte acht Jahre lang als TW gearbeitet. Ob der spätere Staatspräsident Walesa in den frühen 1970er Jahren als TW „Bolek“ bedeutende Informationen an die Sicherheitsdienste lieferte, ist unklar. Im Jahr 2005 sprach das IPN ihm den Opferstatus zu, 2008 aber brachte es ein ihn belastendes Buch heraus.

Wladyslaw Kostrzewski, für seine einstige Oppositionstätigkeit mehrfach ausgezeichnet, engagiert sich nach wie vor in der Solidarnosc. Und ist vor allem auf eines stolz: „Wir konnten 1980 und 1981 den Kommunisten zwei neue Gebäude in der Stadt abtrotzen, die als Schulungszentrum für Stasi-Beamte, die Hunde, sowie als Parteizentrale bestimmt waren. Dank uns wurden daraus ein Krankenhaus und ein Kindergarten.“ Beides ist bis heute erhalten.


Weitere Artikel