Neues Solidarnosc-Zentrum in Danzig
„Hier irgendwo in der Menge stehe ich!“ Bogdan Marwecki zeigt stolz auf ein vergilbtes Foto aus den 1980er-Jahren. Zu sehen ist ein Panzer, der inmitten einer wütenden Menge steht. Rauch steigt auf. „Die Miliz hat damals Tränengas gegen uns eingesetzt“, sagt der gebürtige Danziger. Marwecki beteiligte sich damals an den Streiks der Gewerkschaft Solidarnosc, die das kommunistische System in Polen ins Wanken brachten und die als Anfang vom Ende des Ostblocks gelten.
An die Ereignisse, die seit 1980 die Welt und insbesondere die Polen bewegten, erinnert das neue „Europäische Solidarnosc-Zentrum“, kurz ESC, in Danzig. Am kommenden Sonntag eröffnet Polens Staatspräsent Bronislaw Komorowski den riesigen Neubau aus rostrotem Stahl, der in seiner Form an einen großen Tanker erinnert. Umgerechnet etwa 60 Millionen Euro hat der polnische Staat in das Museum investiert.
Die Danziger Werft hat an Bedeutung verloren
Das Zentrum selbst gibt es zwar bereits seit 2008, doch es war bislang eher versteckt auf einem Stockwerk eines ehemaligen Werftgebäudes untergebracht. Dort habe es kaum Platz für Veranstaltungen und Ausstellungen gegeben, sagt Museumsdirektor Basil Kerski.
Im Museum sind zahlreiche Exponate aus der jüngeren Geschichte Polens zu sehen, so ein Exemplar des in den 1960er-Jahren in Polen gebauten Lkw der Marke „Star“ und ein Original-Kran von der „Lenin-Werft“, die nach der Wende in Polen den Namen „Danziger Werft“ trug. Und überall hängen Bilder vom geschmückten Werfttor und der Frauen, die am Zaun stehen, um ihren Männern Lebensmittel zu bringen. Dieses Werfttor spielt auch im neuen Museum eine Rolle, denn es befindet sich genau an der Stelle, an der es einst aufs Werftgelände ging – gleich am Solidarnosc-Platz, wo noch heute drei Kreuze an die Opfer des ersten Arbeiteraufstandes von 1970 erinnern.
Auslöser für die Streikbewegung in den 1980er-Jahren war die katastrophale Wirtschaftslage. An die erinnert sich auch Bogdan Marwecki noch allzu gut: „Du hast fast nichts mehr bekommen.“ Das wirtschaftliche Desaster in Polen stand in Verbindung mit einem Staatsbankrott, denn alleine 40 Prozent des Staatshaushaltes gingen für die Subventionierung der Lebensmittel drauf.
Als die damalige Regierung unter Edward Gierek versuchte, sich durch die Anhebung der Preise für Grundnahrungsmittel Spielraum zu verschaffen, protestierten die Menschen. Parallel dazu traten die Arbeiter auf der damaligen Lenin-Werft in den Ausstand und besetzten ihre Werft. Dabei setzte sich der Elektriker Lech Walesa an die Spitze der Bewegung. Am 31. August 1980 schließlich wurde das „Danziger Abkommen“ unterzeichnet, das zur Gründung der Solidarnosc führte.
Das Museum als Touristenmagnet
Heute geht es mit Polens Wirtschaft seit Jahren bergauf, die leeren Läden von einst haben riesigen Shoppingcentern Platz gemacht. Die Danziger Werft jedoch wurde im Zuge der Privatisierung massiv verkleinert. Wo einst bis zu 20.000 Menschen in Lohn und Brot standen, sind es heute noch knapp 3.000. Bogdan Marwecki ist inzwischen Grafikdesigner – und nach Bremen ausgewandert.
Die Werft ist zwar immer noch in den Bereichen Schiff- und Stahlbau aktiv und hat sich seit einigen Jahren auch auf den Bau von Windkraftanlagen spezialisiert. Doch das alles geschieht auf einem Bruchteil der einstigen Werftfläche, die größtenteils eine riesige Industriebrache ist. Die einst so populäre Solidarnosc hat ebenfalls an Bedeutung verloren: Nur etwa jeder zehnte Pole ist überhaupt noch in einer Gewerkschaft organisiert.
Das neue Solidarnosc-Museum soll der Werft nun neues Leben einhauchen – als Touristenmagnet und als internationales Kultur- und Begegnungszentrum. Neben der Dauerausstellung gibt es eine Bibliothek, ein Forschungszentrum und Konferenzräume. Gut 60 Veranstaltungen soll es laut Direktor Kerski im Jahr geben: Ausstellungen, Filmproduktionen, öffentliche Diskussionen und Konferenzen.