Usbekistan

Das Geheimnis des Seidenstraßen-Papiers

Zarif Mukhtarovs Traum ist wahr geworden. Der 58-Jährige steht vor seiner neu erbauten Werkstatt im Dorf Koni Ghil, fünf Kilometer außerhalb des usbekischen Samarkand. In Mukhtarovs von Lachfalten gesäumten Augen blitzt ein wenig Stolz auf, als er beginnt, seine Geschichte zu erzählen.

Jahrelang hatte der Handwerker versucht, das verlorengegangene Rezept des einst weltberühmten samarkandischen Papiers wiederzuentdecken. In seiner Werkstatt, der wahrscheinlich einzigen Produktionsstätte Zentralasiens für handgeschöpftes, umweltfreundliches Papier, können Besucher heute erleben, wie das Schreibpapier vor Jahrhunderten produziert wurde.


Selbst Goethe schwärmte vom „Seidenblatt von Samarkand“

Das samarkandische Papier war einst vor allem für seine Feinheit bekannt. Viele persische und arabische Manuskripte des 9. bis 10. Jahrhunderts sind auf ihm geschrieben. Im 16. Jahrhundert schrieb der usbekische Eroberer Babur, dass das beste Papier der Welt in Samarkand hergestellt werde, und selbst Goethe erwähnte in seinem „West-östlichen Divan“ das „Seidenblatt von Samarkand“.

Ein Verrat hatte die Kunst der Papierherstellung einst an die Seidenstraße gebracht. Im Jahr 751 nahm der samarkandische Regent Abu Muslim 20.000 chinesische Soldaten gefangen, die weit nach Zentralasien vorgedrungen waren. Unter ihnen waren auch Papiermacher – sie sollen ihr Geheimnis verraten haben, um ihr Leben zu retten. Seitdem stellten Handwerker in Samarkand Schreibpapier her. Doch als nach der russischen Kolonisierung im 19. Jahrhundert die Massenproduktion in Papierfabriken begann, ging das uralte Rezept verloren.

Zarif Mukhtarov / Komila Nabiyeva, n-ost
Zarif Mukhtarov / Komila Nabiyeva, n-ost

1995 nahm der gelernte Keramiker Zarif Mukhtarov an einer Uno-Konferenz zur verlorengegangenen Kultur Usbekistans teil, auf der auch das samarkandische Papier Thema war. „Damals beschloss ich, das alte Rezept wiederzuentdecken“, erzählt Zarif. Bis er es endlich gefunden hatte, vergingen allerdings nochmal fünf Jahre: „Lange experimentierte ich mit Baumwolle, Lumpen und Leinen“, erinnert sich Zarif. „Dann war mir endlich klar: Das beste Papier lässt sich aus der Rinde des Maulbeerbaums herstellen.“ Der wächst rund um Samarkand fast überall.

Als er das Rezept hatte, konnte Zarif nichts mehr stoppen. Er wollte das neue alte Papier nun auch nach alter Technik herstellen. 2001 begann er, seine Papierwerkstatt zu bauen. Etwas Geld dafür kam von einer US-Stiftung, doch den größten Teil musste er selber aufbringen. „Am Anfang hielten mich meine Freunde für verrückt“, erzählt er. „Meine Frau machte mir eine Szene. Wir mussten doch unsere beiden Kinder verheiraten. Aber ich lieh mir Geld für die Werkstatt.“ Am Ende verkaufte er sein Auto und den Goldschmuck seiner Frau, um die Werkstatt fertigbauen zu können.


Einst gab es allein in Samarkand 400 Papiermühlen

Heute ist diese ein Anlaufpunkt für viele Usbekistan-Reisende. Zarif hat keine Webseite und macht keine Werbung, und doch kommen im Jahr rund 5.000 Touristen zu ihm. Seine aus Lehm gebaute Werkstatt am Fluss Sijob sieht aus wie eine kleine Insel. Eine malerische Wassermühle rattert. Einst gab es bei Samarkand etwa 400 solcher Mühlenwerkstätten, viele davon im Dorf Koni Ghil, wie Zarif erzählt.

Im kleinen Werkstattladen finden die meist ausländischen Besucher eine große Auswahl an Souvenirs: feines seidenglattes oder grobes Papier in creme, blau, gelb und rosa. Dazu Notizblöcke, Portemonnaies, Taschen, Masken. Alles aus Papier. Sogar usbekische Trachten mit traditionellen Stickereien stellen Zarif und seine zehn Mitarbeiter her. Manchmal bekommt Zarif Aufträge von Restaurants und Geschäften.

Doch wirtschaftlich hält sich die Werkstatt nur mit Mühe über Wasser. Die Touristensaison dauert sechs Monate. Zarif muss seine zehn Mitarbeiter jedoch das ganze Jahr über bezahlen. Zudem ist Zarif nicht aus eigenem Antrieb Unternehmer geworden: Ursprünglich firmierte die Werkstatt als Projekt einer kleinen, von ihm gegründeten Nichtregierungsorganisation. Nach einem blutig zerschlagenen Aufstand in der ostusbekischen Stadt Andijan im Jahr 2005 begann die Regierung jedoch, hunderte Nichtregierungsorganisationen mit Auslandsfinanzierung zu schließen. Zarifs war eine davon. Um seine Werkstatt zu retten, musste er sich als Unternehmer registrieren. Heute ist er damit zufrieden. „Früher waren wir von Zuschüssen abhängig. Jetzt sind wir freier darin, wie wir unser Geld investieren.“


Nur die Rinde einjähriger Maulbeerbäume ist gut genug

Zarifs kleiner Betrieb musste sich immer wieder gegen behördliche Auflagen zur Wehr setzen. Sein wichtigster Rohstoff war zugleich sein größtes Problem. Jedes Jahr brauchte Zarif eine neue Erlaubnis, um seine Maulbeerbaumzweige bei einem Bauern kaufen zu können. Sogar ein Gerichtsverfahren wegen unerlaubten Schnitts von Maulbeerbäumen hatte er am Hals. In den Maulbeerbäumen lebt die Seidenraupe und die Seidenindustrie wird in Usbekistan vom Staat kontrolliert. Inzwischen darf Zarif aber ein Stück Land pachten, auf dem er jetzt seine eigenen Bäume pflanzt.

Nach einem Tee unter dem schattigen Vordach führt Zarif durch seine Werkstatt. Vom Ast eines einjährigen Maulbeerbaums zieht er die innere Rinde ab. „Nach vier- bis fünfstündigem Kochen werden die Fasern weich und können zermahlen werden“, erklärt er. „Den daraus entstehenden Brei mischen wir mit Wasser.“ Ein junger Arbeiter schöpft schließlich mit einem Sieb die Papiermasse aus dem Wasser, lässt das Papier vortrocknen. Dann kommen die Blätter für 24 Stunden in die mit großen Steinen beschwerte Presse.

Zuletzt poliert ein Arbeiter das Papier mit einer Muschel. Zarif glaubt, dass das Polieren eine Erfindung der samarkandischen Handwerker war. „In China und Japan war das Papier rau, da man dort mit dem Pinsel schrieb. In Zentralasien wurde damals aber mit der Feder geschrieben. Darum brauchte man hier glattes Papier.“


2.000 Jahre hält das fertige Papier, verspricht Zarif

Das fertige Papier soll eine Haltbarkeit von 2.000 Jahren haben, versichert Zarif. Das wären 1.900 Jahre mehr als bei industriell gefertigtem Papier. Selbst vor Mäusen soll das Papier geschützt sein, da sie Maulbeerbaumrinde nicht vertragen.

In Zukunft möchte Zarif sein Angebot erweitern und neben der Werkstatt ein Restaurant eröffnen. Wenn man den Entdecker des Papierrezeptes fragt, was sein Rezept für die Verwirklichung von Träumen ist, lächelt er. „Zuerst braucht man im Kopf eine sehr klare Vorstellung. Und dann darf man nie nachlassen, bis die Vorstellung Wirklichkeit wird.“


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