Ukraine

Schuldzuweisungen und viele offene Fragen

Kurz nach dem Unglück sah es so aus, als zeigten sich die Separatisten in der Ostukraine kooperationsbereit: Sie kündigten noch in der Nacht eine mehrtägige Waffenruhe an. Internationale Experten sollten den Absturz von Flug MH17 und den Tod von fast 300 Menschen untersuchen können. Am Freitag aber war eine Aufklärung vorerst unsicher. Die Rebellen wögen ab, ob sie Luftfahrtexperten Zutritt zum Absturzgebiet der Boeing 777 der Malaysia Airlines gewähren sollen, hieß es da. Auch eine Waffenruhe lehnten sie plötzlich ab.

Das Außenministerium in Kiew erklärte, die Unglücksstelle sei von bewaffneten Separatisten umstellt. Regierungschef Arseni Jazenjuk warf den Rebellen vor, selbst Helfer bei der Arbeit zu behindern. „Diese Banditen lassen eine Untersuchung der Tragödie durch unsere Leute nicht zu“, sagte er. Der mutmaßliche Abschuss der zivilen Passagiermaschine ändert nichts an den verhärteten Fronten im Ukraine-Konflikt – im Gegenteil.


Verwirrung um Verbleib der Flugschreiber

Die prorussischen Rebellen bargen Medienberichten zufolge mehrere Flugschreiber und sollen sie russischen Behörden übergeben haben, damit die Geräte in Moskau analysiert werden. Man werde die Flugschreiber nicht entgegennehmen, erklärte allerdings Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Auch ukrainische Rettungskräfte fanden später Flugschreiber.

Führende Politiker verschiedener Länder bekräftigen Forderungen nach einer internationalen und transparenten Aufklärung des Unglücks. Kanzlerin Angela Merkel verlangte eine schnelle unabhängige Untersuchung. Für einen Abschuss der MH17 gibt es noch keine Beweise, allerdings gilt diese Ursache international am wahrscheinlichsten. Merkel sprach von „sehr, sehr vielen Indizien“ für einen Angriff auf MH17.

Die Schuld schieben sich die Konfliktparteien gegenseitig zu. „Der Abschuss eines zivilen Flugzeuges ist ein Akt des internationalen Terrorismus, der sich gegen die ganze Welt richtet“, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, seinem Land Schutz vor dem „Aggressor“ Russland zu bieten.

Russlands Staatschef Wladimir Putin erklärte: „Zweifellos trägt der Staat, über dessen Territorium das geschehen ist, Verantwortung für diese furchtbare Tragödie.“ Auch er forderte eine „umfassende und objektive Untersuchung“. Putins Sprecher bezeichnete unterdessen Äußerungen, die Russland mit dem Absturz in Verbindung bringen, als „dumm“.


Viele Spuren führen zu den ostukrainischen Separatisten

Ukrainische Behörden veröffentlichten einen Gesprächs-Mitschnitt, auf dem Separatisten zu hören sein sollen, wie sie über den Beschuss eines Flugzeuges diskutieren und dann feststellen, dass es sich dabei um eine Zivilmaschine handelte. Die Authentizität der Aufnahme ist nicht zu belegen, sie unterstützt aber Hinweise, die zu den Separatisten führen: Diese rühmten sich am Donnerstagnachmittag noch damit, in der Unglücksregion einen ukrainischen Militärtransporter vom Typ AN-26 abgeschossen zu haben. Es könnte sich dabei um eine Verwechslung mit der Maschine aus Malaysia gehandelt haben.

Technisch möglich gewesen wäre das mit dem Raketen-Abwehrsystem „Buk“, welches den Rebellen vor einigen Wochen bei der Einnahme einer ukrainischen Militärbasis in die Hände gefallen sein soll – auch wenn der ukrainische Generalstaatsanwalt Witali Jarema erklärte, die Separatisten besäßen keine Raketenflugabwehrsysteme vom Typ „Buk“. Die Separatisten widersprachen nach Bekanntwerden des Absturzes der Version, dass sie verantwortlich sind, und bezichtigten die ukrainische Regierung der Provokation. Dies wiederum wies die Regierung in Kiew zurück. Die Ermittler haben also viele Fragen, Widersprüche und Mutmaßungen aufzulösen.

Gleichzeitig wächst die Angst vor einer weiteren Eskalation der Ukraine-Krise. „Der einzige vernünftige Schritt ist, jetzt die Kämpfe sofort zu beenden und einen politischen Prozess zu starten“, erklärte Dmitri Trenin, Leiter des Moskauer Carnegie Center. „Der tragische und plötzliche Verlust so vieler Unschuldiger sollte ein Ende des bewaffneten Konflikts darstellen.“ Andernfalls, so Trenin, führe die Flugzeugkatastrophe den Konflikt auf eine neue, noch bedrohlichere Stufe.


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