Tschechien

Deutsches Altersglück in Osteuropa

„Hinter dem Haus beginnen die Berge, da geht es gleich hinauf“, beschreibt Olga Merkel ihre Umgebung. Doch am Rande von Pilsen (Plzen) ist die Landschaft flach. Hinter dem Haus sind Gärten, vorn erstrecken sich die Hallen eines Logistikzentrums. Die 88-Jährige kann den regen Autoverkehr gut von ihrem Zimmer im ersten Stock des Pflegeheims aus beobachten. „Sie denkt, sie wäre zu Hause“, klärt Sohn Rudolf Merkel die kleine Verwirrung auf. Seine Heimat und die seiner Mutter ist Eckental, 20 Kilometer östlich von Erlangen und umgeben von Bergen. Olga Merkel sitzt nach einem Oberschenkelbruch im Rollstuhl und leidet an Demenz.


Eine preiswerte Alternative

Wäre das Heim in Eckental nicht geschlossen worden, würde Rudolf Merkel jetzt nicht in Pilsen seine Mutter besuchen. „Mir wurde zwar ein Ausweichplatz vermittelt, aber die neue Einrichtung war frustrierend. Das erste Thema war, wie viel das kostet. Was für ein Mensch da kommt, wurde gar nicht gefragt“, ärgert er sich noch jetzt. Doch auch für ihn spielte das Finanzielle eine wesentliche Rolle. Ganze 1.000 Euro musste er in Deutschland zu den Heimkosten zuschießen. Die 440 Euro Rente seiner Mutter reichten nicht annähernd. Auch nach dem Zuschuss der Pflegeversicherung klaffte noch ein großes Loch in der Haushaltskasse. Also suchte Merkel eine Alternative und fand sie im benachbarten Tschechien bei Roman Barfusz.

Der sportlich gekleidete Eigentümer des Pflegeheims in Pilsen betreibt zusammen mit Partnern fünf Heime für Pflegebedürftige aus Deutschland. In Pilsen leben unter 102 Bewohnern bislang drei Deutsche, zwei weitere haben sich angekündigt. Der Rest sind Tschechen. Barfusz ist zwar in Tschechien geboren, verbrachte den Großteil seines Lebens aber in Deutschland. Vor zwei Jahren begann er, Pflegeheimplätze in Tschechien zu vermitteln. „Unsere Preise sind individuell, ich frage, was kannst du zahlen, und dann entscheiden wir“, beantwortet er unbestimmt die Frage nach den Kosten. Er könne jedem den passenden Platz vermitteln. Wenn nicht in Pilsen, dann in einer der anderen Einrichtungen.


200 Kilometer ist die Mutter jetzt weg

Rudolf Merkel dagegen macht aus seiner Ersparnis kein Geheimnis. „Ich zahle für meine Mutter 1.450 Euro im Monat“, sagt er. Da sei alles drin, von ärztlicher Betreuung zweimal die Woche bis zur Fußpflege. Zwar übernimmt die Pflegeversicherung keine Kosten mehr. Aber zusammen mit Pflegegeld in Höhe von 525 Euro und der Rente seiner Mutter rechnet es sich für ihn.

Für das Geld schläft Olga Merkel in einem von drei Betten in einem kleinen Zimmer. Die Wände strahlen in kräftigen Farben orange, rosa, gelb, hellgrün. Über jedem Bett ein Brett mit Medikamenten und Pflegemitteln, neben jedem Bett ein Nachtschränkchen. Persönliche Dinge sucht man vergebens. Der Sohn, selbst schon Rentner, versucht die Mutter einmal die Woche zu besuchen. Seit er sie letzten Herbst in Pilsen untergebracht hat, gelingt ihm das, auch wenn der Weg lang ist. 200 Kilometer eine Strecke, früher waren es nur 15. Da war er jeden Tag bei der Mutter.

Dass es in Tschechien so viel günstiger ist als in Deutschland, liegt vor allem an den Personalkosten. Der Verdienst einer Pflegehilfe abseits der Hauptstadt Prag übersteigt selten 15.000 Kronen brutto, umgerechnet also keine 550 Euro.


Unterschiedliche Standards

Trotzdem muss Pflege in Deutschland nicht teuer sein, meint Axel Wunsch, Sprecher der Pflegekasse Barmer GEK. Er hat beobachtet, dass die Möglichkeit der anteiligen Übernahme an den Pflegekosten durch den Sozialhilfeträger bei vergleichenden Gegenüberstellungen im In- und Ausland häufig nicht berücksichtigt wird. „Gerade dadurch kann ein beträchtlicher Teil der Kosten für den Pflegebedürftigen entfallen", gibt Wunsch zu bedenken. In Rechnungen des Bundesgesundheitsministeriums kommen Pflegebedürftige in Deutschland mit 3.000 Euro Heimkosten sogar günstiger weg. Bedingung ist allerdings, dass es kein Vermögen gibt. Außerdem gehen die Rechnungen von Heimkosten im EU-Ausland von 2.000 Euro aus. In Tschechien liegen die Preise aber meist deutlich darunter.

Wie viele Deutsche in Tschechien gepflegt werden, ist nicht bekannt. Aber private Anbieter in Tschechien bauen aufgrund steigender Nachfrage ihre Kapazitäten vor allem im Grenzgebiet aus. Michael Richter, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Sachsen äußert Verständnis für die Wahl eines Pflegeheims hinter der Grenze. Sein Verband spricht sich aber gegen Verträge der Pflegekassen mit ausländischen Heimen aus. „Aufgrund der unterschiedlichen Qualitätsstandards sehen wir das kritisch“, so Richter.

Rudolf Merkel versteht das nicht. Er sieht seine Mutter in Tschechien sogar besser aufgehoben. Er räumt zwar ein: „Ich bin Mutters einzige Bezugsperson, was bei ihrer zunehmenden Demenz ganz wichtig ist.“ Aber egal ob Eckendorf oder Pilsen: „Die Mutter wollte nie ins Heim“, sagt er. Doch er weiß, irgendwann wird er seine Mutter nicht mehr regelmäßig besuchen können. Umso mehr ist er über die Gewissheit dankbar, dass sie in guten Händen ist.


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