Zwischen Zensur und Selbstzensur - Deutsches Theater verursacht Skandal in Kasachstan
Das Deutsche Theater Almaty in Kasachstan spielt zur Saisoneröffnung das Stück eines russischen Autors, inszeniert von einer deutschen Regisseurin, und gerät damit in die Schlagzeilen. "BaikaNUR2" von Alexej Schipenko heißt der Stein des Anstoßes, der im Vorfeld der Premiere für Unruhe und Aufregung sorgte. Das kasachische Ministerium für Kultur drohte gar mit einem Verbot - ein Akt der Zensur freier Kunst in Kasachstan? Die lokalen Medien Almatys witterten einen Skandal: "Kultureller Erlass - Ministerium verbietet Stück am Deutschen Theater", titelte die kasachische Tageszeitung "Express K". Und auch die Fernsehsender, sowohl regionale als auch überregionale, brachten Berichte über die aufgebrachte Berliner Regisseurin Anna Langhoff, die sagte, sie habe einen vergleichbaren Fall von Zensur zuletzt 1971 in der DDR erlebt.
Seit 1989 gibt es das Staatliche Deutsche Dramatische Theater, kurz DTA, in Almaty. Das junge Theater versteht sich als Autorentheater mit zeitgemäßen Stücken in deutscher und russischer Sprache. In den letzten Jahren ist es durch moderne Inszenierungen, Gastspielreisen in Europa und Teilnahmen an internationalen Festivals zu einem festen Bestandteil des kulturellen Lebens in Kasachstan geworden. Für seine Anstrengungen, ein politisch aktives, sozialkritisches und lebendiges Theater zu sein, hat das DTA zahlreiche Auszeichnungen, Preise und internationale Anerkennung erhalten.
Das Eröffnungsstück der diesjährigen Spielzeit wurde von Alexej Schipenko speziell für das junge Ensemble am DTA geschrieben. "BaikNUR2" ist ein komödiantisches Märchen. Es thematisiert Fragen der Ethik, der Tradition, der Liebe und des zwischenmenschlichen Umgangs, alles gewürzt mit einem kräftigen Schuss Humor, der auch schon mal derb daherkommt in Form von Zoten und Schimpfwörtern. Vorsorglich wird im Programmheft darauf hingewiesen, dass in der Aufführung "nicht jugendfreie Ausdrücke verwendet werden".
Ein Grund zur Besorgnis? Oder sind es die fiktiven politischen Verhältnisse in "BaikaNUR2", welches Kasachstan im Jahre 2051 von China okkupiert sieht? Vielleicht liegt es aber auch an den Aussagen über eine trostlose Zukunft in Kasachstan, die dem kasachischen Kultusministerium so missfallen haben, dass es knapp zwei Wochen vor der geplanten Premiere ein einstweiliges Aufführungsverbot für "BaikaNUR2" verhängt hat. Das Stück verletze kasachische Gefühle, so die Begründung. Man werde eine Delegation schicken, die sich die Inszenierung anschauen und dann entscheiden werde, ob das Stück gespielt werden dürfe oder nicht, so die Mitteilung des Ministeriums per Fax.
Sowohl die Regisseurin als auch der künstlerische Leiter des DTA, Viktor Nemtschenko, und das gesamte Ensemble waren fassungslos. Wie kann es passieren, dass dem Ministerium der Text eines noch nicht zur Uraufführung gebrachten Stückes vorliegt? Es wird gemutmaßt, dass der Direktorin des DTA, Galina Iwanowna, das Stück nicht gefallen habe und sie es deshalb in Eigenregie ans
Ministerium schickte. Iwanowna ist seit dem Bekannt werden des ministeriellen Erlasses offiziell krank und für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Die im Oktober 2003 von der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" veröffentlichten Ergebnisse einer Untersuchung zum Thema Medienfreiheit stuft Kasachstan weit hinten ein: Platz 138 von 164. Und im Bericht "Freedom of Press 2003" der amerikanischen Nichtregierungsorganisation "Freedom House" heißt es über Kasachstan: "Selbstzensur ist weit verbreitet". Auf jeden Fall ist der Schuss nach hinten losgegangen. Eine größere Publicity und Werbung hätte "BaikaNUR2" nicht haben können - nach der Pressekonferenz des DTA Mitte November berichtete gut ein Dutzend Zeitungen, unter anderem "Nowosti Nidjeli" und "Argumenti i Fakti" über das drohende Verbot des Stückes. Auch bei mehreren Fernsehsendern, darunter der staatliche Sender Jel-arna und die privaten TAN und 31-Kanal, wurde das Vorgehen des Ministeriums thematisiert. Bei der für die Presse zugänglichen Generalprobe war der kleine Zuschauerraum zum Bersten gefüllt mit Medienvertretern.
Nach eingehender Beratung hatte sich das Ensemble für die Fortsetzung der Proben nach Plan entschieden, trotz Ungewissheit und Verunsicherung. Sie sei betroffen und nachdenklich, so Langhoff auf der Pressekonferenz. "Wie soll man als Künstler frei arbeiten, wenn man angehalten wird, wie ein Politiker oder Zensor zu denken?", fügt sie hinzu.
Kurz vor der Premiere lenkte das Ministerium ein. Das Stück werde zwar nicht verboten, so ein Vertreter des Kulturministeriums, wenngleich es überaus schlecht sei und ihn in seiner Ausdrucksweise persönlich beleidige und verletzte. Man gehe aber davon aus, dass aufgebrachte Zuschauer das DTA wegen "BaikaNur2" verklagen und dem Ganzen auf diesem Weg Einhalt gebieten werden.
Für Regisseurin Anna Langhoff ist klar: "Andeutungen in Richtung politische Satire sind in Kasachstan nicht erwünscht." Trotz der Möglichkeit der Aufführung sei das, was abgelaufen ist, "ein klarer Fall von unberechtigter Zensur freier Kunst".
Die Regisseurin befindet sich inzwischen wieder in ihrer Heimatstadt Berlin. Zurückgeblieben ist ein kleines ambitioniertes Ensemble, das sich sowohl internen Querelen als auch externen Anfeindungen und Unabwägbarkeiten gegenübersieht. Niemand weiß, ob es personelle Konsequenzen geben wird und ob die Auseinandersetzung mit dem Ministerium andauern wird.