Litauen

Machtkampf in Litauen weitet sich aus - aktuell !

Machtkampf in Litauen weitet sich aus
Parlament droht Präsident mit Amtsenthebung


Von Roland Stork (E-Mail: roland.stork@gmx.net, Tel.: +370-674 44862)


Vilnius (n-ost) "Der Präsident war und ist angreifbar. Angesichts seiner
Position stellt das eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar." Zu diesem
drastischen Urteil über den kaum ein Jahr amtierenden Präsidenten Rolandas
Paksas gelangte jetzt die Untersuchungskommission des litauischen Parlaments.
Der Präsident habe sich durch seine Wahlkampffinanzierung in die
Abhängigkeit zweifelhafter Geschäftsleute mit Verbindungen zu russischen
Sicherheitskreisen begeben und geheime Informationen an Unbefugte weiter gegeben, stellte
die Kommission nach knapp vierwöchiger Arbeit fest. Das Parlament bestätigte
den Bericht mit großer Mehrheit.
In einer ersten Reaktion rückte auch Ministerpräsident Algirdas Brazauskas,
der Paksas lange in Schutz genommen hatte, weiter von ihm ab. "An seiner
Stelle würde ich zurück treten." Führende Mitglieder in seiner regierenden
sozialdemokratischen Partei bemühten den historischen Vergleich: "Willy Brandt ist
damals auch ohne persönliche Schuld zurück getreten, um weiteren Schaden vom
politischen Amt abzuwenden."
Doch Präsident Paksas gibt sich kämpferisch: "Ich habe immer für Litauen und
die Interessen seiner Bürger gekämpft. Niemand wird mich von diesem Weg
abbringen", sagte er in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehansprache. Und
stellte den Bericht der Kommission als Verschwörung voreingenommener Politiker
gegen seine Person dar: "Man will mich moralisch brechen und politisch
vernichten."
Der Machtkampf zwischen Parlament und Präsident hat damit weiter an Schärfe
zugenommen. Vor allem der Ministerpräsident hatte darauf gehofft, der
Präsident werde freiwillig zurück treten, um ein halbes Jahr vor dem EU-Beitritt
weiteren Imageschaden zu vermeiden. Doch für den erst 47-jährigen Paksas wäre
nach zwei ebenso kurzen wie glücklosen Amtszeiten als Ministerpräsident 1999
und 2000/2001 ein Rücktritt wohl das endgültige Aus seiner politischen
Karriere.
Paksas baut auf seinen nach wie vor starken Rückhalt in der einfachen
Bevölkerung. Durch zahlreiche Besuche auf dem Land und vollmundige Versprechungen
hatte er vor einem Jahr die Stichwahl gegen den Amtsinhaber und hohen
Favoriten Adamkus für sich entschieden. Auch jetzt ist er wieder in der Provinz
unterwegs, um im direkten Kontakt mit der Bevölkerung gegen die - aus seiner Sicht
- Intrigen des politischen Establishments zu kämpfen.
Das Parlament droht nun mit dem äußersten Mittel: Amtsenthebungsverfahren.
Ein solches Verfahren wäre allerdings langwierig und müsste juristisch
stichhaltige Argumente dafür liefern, dass der Präsident gegen die Verfassung
verstoßen hat. Für eine Absetzung bedürfte es dann 85 der 114 Stimmen im Parlament.
Eine Mehrheit, die nach der jüngsten Abstimmung im Parlament aber durchaus
realistisch ist.
Die von Paksas gegründete Liberaldemokratische Partei hat als einzig
sicherer Rückhalt lediglich 16 Sitze im Parlament. Es wird sehr einsam um den
litauischen Präsidenten. Seine Berater, denen neben den Kontakten zu zweifelhaften
Geschäftsleuten auch Amtsmissbrauch vorgeworfen wurde, hat er mittlerweile
alle entlassen. Der finale Befreiungsschlag gelang ihm damit nicht. Mehr und
mehr rückte er selbst in den Mittelpunkt der Anschuldigungen.
Die alten Vorwürfe aus der Wahlkampfzeit vor einem knappen Jahr tauchen
wieder auf, jetzt mit neuen Beweisen: nicht deklarierte Wahlkampfgelder aus
dunklen russischen Quellen, die Lancierung einer Bankenpleite zur Stimmungsmache,
die doppelte Staatsbürgerschaft für seinen in Russland geborenen
Hauptfinanzier, der zudem Waffen in den "Terrorismusstaat" Sudan geliefert haben soll.
Ganz gleich wie das Kräftemessen enden wird, es zeigt deutlich den Riss, der
durch das Land geht: hier die Gebildeten und Gutverdienenden, die den
Selfmademan und Kunstflieger Paksas verdächtigen, eine Marionette russischer
Interessen zu sein, dort die Armen und Zukurzgekommenen, die in ihm einen
Heilsbringer sehen. Ein Zweikampf, der auf dem Rücken des überparteilichen Amtes des
Staatspräsidenten ausgetragen
wird.

Ende

---------------------------------------------------------------------


Weitere Artikel