„Stolz, dieses Wappen zu tragen“
Ermin Bicakcic kommt im Trainingsanzug der bosnischen Nationalmannschaft zum Interview in Sarajevo, obwohl er zu diesem Zeitpunkt wegen einer Verletzung nicht trainieren kann. „Ich bin stolz, dass ich dieses Wappen tragen darf“, sagt er und legt die Hand auf das blau-weiß-gelbe Emblem über seinem Herzen.
„Ich repräsentiere nicht nur mich und meine Teamkollegen, sondern ein ganzes Land.“ Ein Land, in dem die Wunden des Krieges auf Schritt und Tritt zu sehen sind: zerbombte Häuser in den Innenstädten, Kriegsveteranen, deren Jackenärmel leer herabbaumeln, Gedenktafeln an jeder Straßenecke, die an die Opfer erinnern – zumeist an junge Männer um die 20 Jahre.
Ermin Bicakcic war drei Jahre alt, als seine Familie 1993 aus Zvornik im Nordosten Bosniens flüchtete, eines der am umkämpftesten Gebiete mit den meisten Kriegsopfern. Heute liegt Zvornik im serbischen Teil Bosniens, der Republika Srpska.
„Wir sind über zig Berge, Wälder und Zelte in Österreich gelandet und haben da Monate auf den Vater gewartet.“ Männer durften das Land nicht verlassen. Ermins Vater ist es später gelungen, der Familie zu folgen.
Viele der bosnischen Nationalspieler sind Kriegsflüchtlinge, haben in verschiedenen Ländern gelebt. Das schweißt zusammen: „Das wird zwar nicht ständig thematisiert. Aber wir haben uns alle durchgekämpft, wir haben die gleiche Vergangenheit. So etwas kann man nicht vergessen“, sagt Bicakcic.
Mit den „Drachen“ nach Brasilien
Tatsächlich wirkt die Mannschaft harmonisch, mit Vedad Ibisevic und Edin Dzeko hat sie hervorragende international gefürchtete Angriffsspieler, mit dem erfahrenen Kapitän Emir Spahic und jüngeren, experimentierfreudigen Spielern wie Miralem Pjancic zeichnet sie zudem eine gute Altersmischung aus.
Das ganze Land sympathisiert mit den „Drachen“, wie die bosnische Nationalelf liebevoll-ehrfürchtig genannt wird. Auch deshalb, weil sie das vorlebt, wonach sich viele Bosnier so sehr sehnen: ein friedliches Zusammenleben aller drei Volksgruppen, der Bosniaken, Serben und Kroaten.
„In unserer Mannschaft sind Spieler, die im Krieg auf unterschiedlichen Seiten standen. Heute sind sie die besten Freunde. Fußball trägt zum Zusammenwachsen unserer Gesellschaft bei“, sagt der Sportjournalist Bakir Tiro, der die Mannschaft seit Jahren begleitet.
So bekennt sich zum Beispiel Mittelfeld-Spieler Zvjezdan Misimovic, dessen Eltern bosnische Serben sind, zur Orthodoxie. Ermin Bicakcic ist gläubiger Muslim. „Ich habe in schwierigen Momenten meiner Karriere Kraft daraus geschöpft. Meine Religion ist mir schon wichtig“. Sein Vorbild ist Muhammed Ali – der US-Amerikaner war nicht nur einer der größten Athleten des 20. Jahrhunderts, sondern weigerte sich als Schwarzer und Muslim, in den Vietnamkrieg zu ziehen.
„Ich darf den Menschen im Stadion Freude geben“
Zurzeit läuft es außerordentlich gut für Bicakcic: Kurz nach dem Abstieg von Eintracht Braunschweig hat er zum TSG Hoffenheim gewechselt und damit auch sein Fußballer-Gehalt um einiges gesteigert. Doch die Zeit als Braunschweiger „Eisen-Ermin“ wird er nicht vergessen, wie er kurz nach dem Wechsel auf seiner Webseite schrieb.
Er will sich auch im neuen Verein treu bleiben als lockerer Typ – in Braunschweig zeigt er sich gern mit Fans in der Stadt. „Ich habe keine Probleme damit, stundenlang Fotos mit Kindern zu machen“. Wenn Kinder auf den Straßen von Sarajevo hinter dem Mannschaftsbus herlaufen, sei das einfach ein tolles Gefühl: „Das ist ein Grund, warum ich Fußball spiele“, sagt er mit hörbar belegter Stimme: Fußballer in der bosnischen Nationalelf zu sein – das sei nicht nur ein Job, sondern eine Verantwortung. „Ich bin dankbar, dass ich den Menschen im Stadion Freude geben darf, nach allem, was passiert ist. Nur zusammen können wir es schaffen, in jeder Hinsicht.“