Der Redakteur macht’s wahr
„Die Midlife-Crisis erwischte Redakteur B. mit einem gehörigen Bäuchlein, im Bett liegend, in demselben wie seit Jahren, in demselben Zimmer wie seit Jahren, neben seiner schnarchenden Frau.
Vielleicht war er gerade von diesem Schnarchen aufgewacht, obwohl er Zeit gehabt hatte, sich daran zu gewöhnen, denn sie schliefen seit zwanzig Jahren nebeneinander, seit zwanzig Jahren waren sie ein Ehepaar, das immer mehr Platz in immer noch demselben Bett einnahm, das sie von ihren Eltern geerbt hatten.
Das heißt, der Vater lebte noch, aber nach dem Tod seiner Frau hatte er ihnen das Bett gegeben, das er bis dahin mit ihr geteilt hatte, und so blieb es dann.
Redakteur B. hörte damals die Beatles, das Bett erinnert sich an alle seine musikalischen Leidenschaften, von den Beatles über Mozart bis zu Mahler.
Sein Geschmack wurde mit der Zeit immer raffinierter, wovon seine Frau keine Ahnung hatte, die ihn dazu zwang, seine musikalischen Leidenschaften in Kopfhörer zu sperren. Sie selbst machte sich auf dem Sofa breit und schaute sich ihre Lieblingsserien an.
Der Redakteur lag jetzt im Bett neben ihr, jäh geweckt, vielleicht von ihrem Schnarchen, an das er sich hätte gewöhnt haben müssen, aber gerade jetzt, nach Jahren, ging ihm das Schnarchen seiner Frau auf die Nerven wie nie zuvor.
Vielleicht wegen dieses Schnarchens, vielleicht wegen des immer noch selben Bettes, vielleicht aber auch wegen der außergewöhnlichen Zeit, denn Redakteur B. hatte bisher jede Nacht ruhig wie ein Kind durchgeschlafen, überkamen ihn Reflexionen über den Sinn des Seins, das vergeudete Leben und die Abneigung gegen seine Frau, die sich in den Jahren entwickelt hatte, seine Frau, deren ständige Gegenwart in seinem Leben ihn plötzlich zu stören begann.
Einst hatte er sich gefreut, dass er eine Frau hat.
Sie hatte sich ihn mit sicherer Hand gegriffen, und sie zweifelte nie, was ihm das Leben sehr erleichterte. Bisher hatte er kein Bedürfnis danach verspürt, selbstständige Entscheidungen zu treffen oder sich ihrem Willen auch nur in Kleinigkeiten zu widersetzen.
Er war ein Intellektueller und wusste gut, wie viel Für und Wider in jeder scheinbar belanglosen Angelegenheit lauern; wenn er begonnen hätte, sie alle abzuwägen, hätte er an jeder Kreuzung anhalten müssen, anstatt sicher an der Seite seiner Frau zu schreiten, die ohne Zögern den Weg wählte.
In dieser Nacht aber überkamen Redakteur B. unerträgliche Zweifel, die typisch waren für seine Altersgenossen, aber gänzlich neu für den Redakteur.
Ist die von seiner Frau gewählte Richtung wirklich die richtige? Verpasst er nicht etwas Wichtiges, wenn er brav neben ihr läuft? Gebühren ihm nicht irgendwelche männlichen Vergnügungen? Er wollte sich vor diesen Fragen in den Schlaf flüchten, aber der Schlaf machte sich aus dem Staub.
Redakteur B. schaltete die Lampe an und sah auf die Uhr. Vier. Und sein Verstand war klar wie mitten am Nachmittag, als ob er sich auf ein Duell vorbereiten würde. Mit seiner Frau? Mit der Welt? Mit sich selbst? Er wusste nicht, mit wem, doch er spürte, dass er um sein Leben kämpfen musste.
[...]
Redakteur B. hätte mit dem Auto fahren können, ehrlich gesagt fahren Personen in seiner Position selten mit dem Bus. Aber Redakteur B. änderte sich nicht wie andere, sobald er die nächsten Sprossen auf der Karriereleiter erklommen hatte.
Er pflegte noch immer denselben kleinen Vergnügungen nachzugehen, und eine davon war das Busfahren. Der Bus verschaffte ihm jeden Morgen die erste Dosis Überlegenheit. Er war süchtig. Die Abstände zwischen einer und der nächsten Dosis durften ein paar Stunden nicht überschreiten. Morgens war er schon auf Entzug, der durch den Kontakt mit seiner Frau nur verstärkt wurde. Der Redakteur nahm die belegten Brote von seiner Frau entgegen, steckte sie in die Aktentasche und begab sich schnellen Schrittes zur Haltestelle.
Man weiß doch, wie das ist. Jemand muss schlechter sein, damit man selbst der Bessere ist.
Im Bus ist es nicht schwer, Schlechtere zu finden. Der Redakteur entlarvte sie mit geübtem Blick. Wenn er Glück hatte, war der ganze Bus vollgestopft mit Schlechteren. Mit Sicherheit war niemand von ihnen Stellvertreter der Chefredakteurin eines Luxusmagazins für Frauen. Niemand von ihnen hatte es so weit gebracht, verdiente solches Geld, der Redakteur betrachtete sie aus der Höhe seiner gesellschaftlichen Position mit herablassender Heiterkeit.
Ungewaschene Schweine. Sie waren nicht wie er, der mit dem Auto hätte fahren können. Aber nicht mochte, weil ihm der Bus die morgendliche Dosis Überlegenheit verschaffte. Nach diesem Kick betrat er forsch die Redaktion, wo er sich den ganzen Tag lang eine Dosis nach der anderen in die Adern jagen würde.
Manchmal kommt es vor, dass ein Pantoffelheld auch auf der Arbeit gerade mal ein leises Piepsen von sich gibt, aber das war hier nicht der Fall. Redakteur B. blühte im Dienst auf. Mit jedem Jahr war der hohe Posten, auf dem er Platz genommen hatte, immer bequemer eingesessen, eine Vertiefung umgab weich den Redakteurshintern, da war es undenkbar, dass jemand anders den so gut hergerichteten Platz einnehmen könnte, der sich ideal den individuellen Formen des Redakteurs angepasst hatte.
Von einem höheren Posten träumte der Redakteur nicht. Er hatte sich schon vor langer Zeit damit abgefunden, dass er eine gläserne Decke über sich hatte, die nicht durchbrochen werden konnte. Er arbeitete in der Redaktion eines Frauenmagazins, und hier hatte üblicherweise eine Frau die höchste Position inne.
Er konnte nur der Erste nach der Göttin sein und darin seine Befriedigung finden, was er ganz besonders tat, seit die Göttin aufgrund einer Krankheit geschwächt war.
Der Redakteur sitzt im Büro, der Tee dampft neben ihm, die Zeitung ist aufgeschlagen, die News im Internet warten nur darauf, dass ein Blick auf sie geworfen wird, sie eingehend kommentiert werden, der Redakteur ist zufrieden, er hat sich schon so weit von zu Hause entfernt, dass er die Schönheit des Lebens empfindet, seinen raffinierten Geschmack, der nur gut aufgestellten Männern mittleren Alters bekannt ist, und da streckt auf einmal eine Journalistin aus der Beauty-Abteilung ihren leeren Kopf ins Büro..."
© Hanna Samson
Aus dem Polnischen von Benjamin Voelkel
Jahrbuch Polen 2014 Männer
Herausgegeben vom Deutschen Polen-Institut Darmstadt
Wiesbaden 2014, 240 Seiten
Preis: 11,80 € (Abo 9 €)
ISBN 9783447101431
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