Donezk: Kämpfe, Einschusslöcher, Straßensperren
Im ostukrainischen Donezk geht nach einer Nacht mit Schießereien und Detonationen das Leben weiter. So normal, wie es eben sein kann, wenn im Nordteil der Stadt die ukrainische Armee mit ihrer „Antiterror-Operation“ gegen etwa 200 Bewaffnete des Separatisten-Bataillons „Wostok“ (Osten) ankämpft, die Montag früh zunächst den Flughafen besetzt hatten.
Die ukrainische Armee stellte die Kämpfer am Dienstag vor die Wahl: Entweder sie würden sich ergeben – oder sie würden „ausgeschaltet“, hieß es. Von einem Ultimatum wurde zunächst nichts bekannt.
Nur wenige Menschen wagen sich ins Freie, die sonst so verstopften Straßen sind sonderbar leer, und viele Schulen, Restaurants und Läden bleiben geschlossen. Autobusse werden umgeleitet, denn Teile der Stadt bleiben weitläufig abgesperrt. Donezk ist derzeit nur vom Süden aus erreichbar.
Nichts geht mehr
Für die Autofahrer bedeutet das: große Umwege. „Dieses Chaos braucht wirklich niemand“, sagt ein Mann, der sich mit dem Namen Pawel vorstellt, an einer Straßensperre. Er hofft darauf, dass die ukrainische Armee entschlossen gegen die Separatisten vorgeht, die im Gebiet Donezk seit einigen Wochen die Kontrolle übernommen haben.
Doch nicht alle hier unterstützen das Eingreifen der ukrainischen Sicherheitskräfte. Zwei Männer geben sich als Unterstützer der „Volksrepublik Donezk“ zu erkennen. Sie wollen Verwundete bergen, sagen sie. Doch auch für sie geht es hier erst einmal nicht weiter.
Bis drei Uhr früh hat es am Dienstag Kampfhandlungen im Bereich des Flughafens gegeben. Die ukrainische Armee soll den Airport mittlerweile eingenommen haben. In der Nacht besetzten Bewaffnete das Eishockey-Stadion „Druschba“ und setzten es in Brand.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gab an, seit Montagabend den Kontakt zu einem Beobachterteam nahe Donezk verloren zu haben. Das Team bestand aus vier Beobachtern aus Estland, der Schweiz, Türkei und Dänemark. Die Beobachter waren offenbar an einer Straßensperre angehalten worden.
40 Tote
Der Donezker Bürgermeister Alexander Lukjantschenko - grauer Anzug, sorgenvoller Blick - präsentierte Journalisten das Fazit der blutigen Nacht. Er sprach von zwei toten Zivilisten und 38 toten Kämpfern – wie viele davon Militärangehörige bzw. „Wostok“-Kämpfer sind, blieb unklar.
Auf einem Foto, das im Internet kursierte, waren in einem Raum übereinander gestapelte Leichen von Kämpfern zu sehen. Die von Lukjantschenko präsentierte offizielle Zahl scheint angesichts der Härte und Dauer der Kämpfe niedrig. In den Krankenhäusern der Stadt befinden sich Dutzende Verletzte – darunter offenbar auch Kämpfer aus Moskau und Tschetschenien.
Das scheint die These der ukrainischen Behörden zu bekräftigen, wonach viele kaukasische Söldner – die Rede war vor allem von Tschetschenen und Osseten - unter den Separatisten zu finden sind. Der Bürgermeister wies die Bewohner an, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Wie lange die Operation noch andauern würde, wisse er selbst nicht, gestand Lukjantschenko wortkarg ein.
Die ukrainische Armee ist zu einer Schlacht ausgerückt
Am zweiten Tag des Einsatzes gegen die Separatisten scheint eines klar: Die ukrainische Armee ist zu einer Schlacht um Donezk ausgerückt. Innenminister Arsen Awakow sprach von „keiner einfachen Situation“, behauptete aber, die ukrainische Armee habe keine Verluste hinnehmen müssen.
Es ist das erste Mal seit Wochen, dass Kiew derart massiv, mit schweren Waffen und Kampfflugzeugen, gegen die Separatisten vorgeht. An einen Rückzug, der bisher den angekündigten „Invasionen“ meist recht schnell folgte, denkt man offenbar nicht. In der elfstöckigen Gebietsverwaltung, dem Hauptquartier der Separatisten, steigt die Sorge über einen möglichen Sturm.
Auf ukrainischer Seite sorgten Berichte für Besorgnis, wonach mehrere Fahrzeuge mit Bewaffneten von Russland in die Ukraine eingereist sind. Der Vorfall soll sich gestern Nacht an einem Grenzübergang im Gebiet Lugansk zugetragen haben. Es kam zum Schusswechsel zwischen Bewaffneten und Grenzbeamten.
Putin fordert sofortiges Ende der Kämpfe
Die ukrainischen Behörden präsentierten Journalisten einen Kleinbus mit Einschusslöchern und sichergestellte Waffen. Kiew beschuldigte Moskau, für die Entsendung der Bewaffneten verantwortlich zu sein. Die Kämpfer stünden unter der „Kontrolle russischer Sicherheitsdienste“, sagte Vize-Außenminister Daniil Lubkiwskij.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Ukraine dagegen zum „sofortigen Ende“ der Antiterroroperation aufgefordert. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte, der Militäreinsatz müsse beendet werden. Dies sei ein Test für die „Standhaftigkeit“ der Regierung in Kiew nach der Präsidentschaftswahl, sagte Lawrow vor Journalisten in Moskau.
Doch in Kiew zeigt man sich entschlossen, den Militäreinsatz weiterzuführen – auch wenn viele Opfer zu befürchten sind. Andernfalls, so fürchtet man, werde man das Gespenst des Separatismus im Donbass nicht mehr los. Fraglich ist aber auch, ob eine Aussöhnung des Landesteils mit Kiew nach dem Blutvergießen noch möglich sein wird.