Alles unter Kontrolle
Minsk (n-ost). Es ist 6 Uhr morgens, als Angehörige des belarussischen Grenzschutzes an die Tür eines schlichten Hotelzimmers in der Provinzstadt Soligorsk klopfen. Sie haben den Auftrag, Jan Busch in ein Auto nach Minsk zu setzen und ihn von dort mit der nächsten Maschine außer Landes zu bringen. Der Student aus Deutschland hatte ein Fortbildungsseminar für örtliche Jugendverbände abgehalten. Zu viel der Basisdemokratie in den Augen der argwöhnischen weißrussischen Behörden.
Die deutsche Botschaft in Minsk macht keinen Hehl aus ihrem Unmut: „Wir haben bei der belarussischen Regierung unsere Empörung zum Ausdruck gebracht, vor allem über die Art und Weise ihres Vorgehens.“ Das Projekt, in dessen Rahmen Jan Busch tätig war, sei seit langem in Belarus aktiv und die Behörden seien über den Inhalt stets informiert worden. Es habe keine Einwände gegeben.
Der Protest blieb offenbar ohne Wirkung. Genau vier Wochen später wurde ein weiterer Mitarbeiter dieses Projekts, Stefan Kämmerling, bereits auf dem Flughafen abgefangen und zurück geschickt. Die Bundesregierung stuft dies nun als „völlig inakzeptables Vorgehen” der weißrussischen Behörden und eine „weitere schwere Belastung der Beziehungen” ein. Das werde nicht ohne Folgen bleiben.
In den letzten Monaten hat es die Staatsführung insbesondere auf Nichtregierungsorganisationen (NROs) abgesehen. Es ist der Versuch, Strukturen zu schwächen, die zur aktiven Mitarbeit an der politischen Willensbildung beitragen. „Wir stehen im Briefwechsel mit den Behörden”, erklärt Janina Sintschenko diplomatisch. Die 31-Jährige managt „Nowyje Liza” (Neue Gesichter), eine Jugendorganisation. „Wir sind vollkommen unparteiisch und wollen uns nur für Jugendinteressen einsetzen.”
Doch im August habe man eine Mahnung der Behörden erhalten, „weil wir uns auf unserer Internetseite als Organisation bezeichnet haben, während in unserem Statut ‘Vereinigung’ steht.” Wegen ähnlicher Kleinigkeiten sind mittlerweile sechs NROs vom Staat geschlossen worden. Es waren dies kaum zufälligerweise so genannte „Ressource Centers, die als Dachorganisationen kleineren Vereinen mit Informationen und Räumlichkeiten helfen”, wie Vadim Thelin, bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zuständig für NROs, ausführt. Erst im Frühjahr war es gelungen, nach wiederholten Ausweisungen von Mitarbeitern durch die Behörden von Belarus die Mission der Organisation wieder zu eröffnen. „Seitdem hat sich die Situation in eine negative Richtung entwickelt”, bedauert Thelin.
Als Hintergrund für das unnachgiebige Vorgehen der Behörden vermuten viele Experten ein anstehendes Referendum. Lukaschenka wolle sich ähnlich wie 1996 per Referendum eine Verfassungsänderung genehmigen lassen, die ihm 2006 eine Wiederwahl ermögliche. Noch sei die politische und vor allem die wirtschaftliche Situation ruhig und ein Referendum mit dem gewünschten Ergebnis leichter zu realisieren. In der Tat hat die in viele Parteien zersplitterte Opposition bei den letzten Kommunalwahlen kaum Sitze in den Stadträten erringen können. Und das, obwohl laut vielfach zitierten Umfragen über drei Viertel der Bevölkerung mit der derzeitigen Situation unzufrieden sind.
„Kein Wunder,” erklärt Mikalai Statkjewitsch, der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten mit einem süffisanten Lächeln, „Lukaschenka hat keine eigene Partei. Seine Leute treten immer als unabhängige Einzelkandidaten an. Sie sind einflussreiche Personen, Fabrikleiter oder Schuldirektoren. Unsere Kandidaten dagegen müssen mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen.“ Wenn das noch nicht reiche, würden die Ergebnisse gefälscht oder man lasse Mandate wegen zu geringer Wahlbeteiligung unbesetzt.
So sind sich die politischen Beobachter einig, dass sich am derzeitigen Status Quo vorerst nur wenig verändern wird. Zu fest hat Lukaschenka mittlerweile Behörden, Betriebe und Gewerkschaften sowie die Medien im Griff. Die Regierung hatte einige wirtschaftliche Reformen angekündigt, bislang aber nur wenig umgesetzt. Sozialdemokrat Statkjewitsch setzt jetzt schon auf die Präsidentschaftswahlen 2006: „Da ist es für die Opposition einfacher, den Unmut auf Lukaschenkas Amtsführung in ein zählbares Ergebnis umzumünzen.”
Ende
Anmerkung: Auf Weissrussisch heisst es Lukaschenka, auf Russisch Lukaschenko!