Neue alte Ängste vor Russland
Auch auf der Krim waren russische Militärbasen, die Übernahme des Territoriums verlief ohne offene Gewalt, nach einer fragwürdigen Wahl hat das Parlament gebeten, die Ukraine dem Nachbarland anzuschließen. Kann Lettland zum nächsten Opfer der russischen Aggression werden? Diese Frage ist seit Anfang März wieder aktuell, als laut Information aus dem Weißen Haus die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel festgestellt hat, dass Russlands Präsident „jeglichen Bezug zur Realität verloren hat.“
Anfang März informierte der Direktor das Meinungsforschungsinstituts SKDS, dass normalerweise 25 Prozent der Einwohner Lettlands Russland als Bedrohung für die Unabhängigkeit Lettlands sehen.
Die letzte Umfrage zeigt aber, dass diese Zahl auf bis zu 40 Prozent gestiegen ist. Mitte März haben 58% der Befragten auf die Frage des Meinungsforschungsinstituts GFK und der Nachrichtenagentur LETA „Sehen sie einen Grund für den Einmarsch und Einsatz russischer Truppen auf der Krim und eventuell auch in anderen Regionen der Ostukraine?“, mit Nein geantwortet, 16 Prozent positiv, 18 Prozent mit „teilweise“.
Diese Umfrage beweist die unterschiedliche Bewertung der Ereignisse auf der Krim von Letten und Nicht-Letten. 77 Prozent der Letten sehen keinen Grund für Russlands Vorgehen und nur 6 Prozent haben geantwortet, dass sie einen Grund sehen. Bei den Nicht-Letten waren die Antworten anders - 24 Prozent sehen keinen Grund für Russlands Vorgehen, 34 Prozent haben das eindeutig unterstützt.
Das ist nicht Neues, das ein Teil der Nicht-Letten Richtung Moskau orientiert ist, aber dass ein erheblicher Teil die Aggression Russlands gegen einen souveränen Staat unterstützt sorgte für eine Diskussion über die unterschiedlichen „Informationsräume“, in denen die Gesellschaft Lettlands lebt.
Die Sicherheitspolizei erklärte am 15.März, dass die Wiedergabe der Ereignissen in der Ukraine in TV-Kanälen Russlands „tendenziös“ sei und man den Eindruck bekomme, dass faschistische Kräfte in der Ukraine die Macht illegal übernommen hätten.
Ein ähnlicher Mythos werde auch in den baltischen Ländern verbreitet. Das widerspricht den Sicherheitsinteressen Lettlands, spaltete die lettische Öffentlichkeit in Bezug auf die Ereignisse in der Ukraine und in der Frage über die außenpolitische und innenpolitische Situation, meint die Sicherheitspolizei.
Ähnlich wie im Nachbarland Litauen, wo schon Mitte März beschlossen wurde, die Übertragung des russischen Senders NTV-Mir für die nächsten drei Monate zu verbieten, hat der lettische Rundfunkrat am 3.April beschlossen die Übertragung des russischen TV Kanals Rossija RTR für die nächsten drei Monate zu stoppen.
Die Wirksamkeit solcher Einschränkungen wird in Frage gestellt. Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics hat erklärt, dass er die Idee unterstützt, einen gemeinsamen TV Kanal für alle baltische Länder auf Russisch zu gründen.
Auch die im Parlament vertretenen politischen Parteien haben einen unterschiedlichen Blick auf die Politik Russlands. Das lettische Parlament hat am 6.März eine Resolution verabschiedet, wo Russland stark verurteilt wird.
65 von 100 Abgeordneten haben dafür gestimmt, 28 von der pro Moskauer Oppositionspartei „Harmoniezentrum“ waren dagegen. Einen Tag vor der Abstimmung hat der Parteivorstand beschlossen, dass sie gegen die Gewalt in der Ukraine sind, aber das Vorgehen von Russland nicht kommentieren werden.
Die Partei will auch den Kooperationsvertrag mit der regierenden Partei Russlands „einiges Russland“ nicht kündigen.
Die unterschiedlichen Einstellungen in der lettischen Gesellschaft hängen nicht nur von der Moskauer Propaganda ab. Wirtschaftliche und politische Interessen tauchen auf, wenn die Rede von gemeinsamen Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland ist.
Russland ist für Lettland der zweitgrößte Handelspartner (nach der EU) und der größte Energieanbieter. Verständlich vorsichtig sind die Unternehmen gegen einen möglichen Bumerang, vor allem im Bereich Lebensmittelindustrie, Transit, Transport und Tourismus.
Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma (Einheit) hat öffentlich zugegeben, dass die Ereignisse in der Ukraine und die eventuellen Sanktionen das Wirtschaftswachstum Lettlands reduzieren könnten.
Staatspräsident Andris Bērziņš wurde hingegen von der Öffentlichkeit scharf verurteilt: Weil er meinte, dass die Sanktionen einen „umgekehrten Effekt“ haben könnten und weil er eine Einladung an Putin zum Staatsbesuch erneuert hat.
Fast 400 Kulturschaffende haben in einem offenen Brief seinen Rücktritt verlangt. Vielleicht war diese scharfe Reaktion der Gesellschaft ein Grund dafür, dass der Präsident einen für Mai geplanten Besuch des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill nach Lettland verschoben hat.
Die Ereignisse in der Ukraine haben einerseits Diskussionen über Garantien des 5. Punktes des Washingtoner Vertrages und andererseits über angemessene Investitionen in die Verteidigung aktualisiert.
Es war geplant, bis zum Jahr 2020 das Verteidigungsbudget vom jetzigen 1% des BIP bis zu NATO Standard entsprechenden 2% zu erhöhen. Die Politiker der Regierungskoalition fordern das schneller zu tun.
Die Bürger zeigen Interesse, in die Landeswehr einzutreten. Der Verteidigungsminister hat erklärt, er will die Regierung um zusätzliche finanzielle Mittel für die Entwicklung der Landesabwehr bitten.
Die Krise in Russland und die aggressive Politik aus Moskau hat Lettland dazu gebracht, seine politischen und wirtschaftlichen Prioritäten deutlicher zu formulieren. Nach der Russland-Krise im Jahre 1998 als die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland dominierten, hat Lettland in Richtung EU geblickt.
Nach dem Krieg in Georgien hat die NATO einen Verteidigungsplan für die baltischen Staaten vorbereitet. Ähnliche Ergebnisse werden auch jetzt erwartet. Nach der letzten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SKDS über die gewünschte außenpolitische Orientierung Lettlands wollen nur 30 Prozent eine Zusammenarbeit mit dem Osten haben.
Im relativ ruhigen März 2010 war diese Zahl 46 Prozent. 39 Prozent wünschen eine verstärkte Orientierung in Richtung Westen. Vor vier Jahren lag diese Zahl bei 27 Prozent.
Aus dem Lettischen von Sandra Valtere
Aivars Ozolins kommentiert im unabhängigen Wochenmagazin IR. Das einflussreiche lettische Meinungsmedium wird seit 2010 von erfahrenen Journalisten herausgegeben.