Polen

Sansibar - Biografie eines Ortes

Vorwort der Autorin

Sansibars Häuser sind nichts für die Ewigkeit. Dafür sorgen Salz, Rauch, Wind, Hitze, Regenzeiten, Wellen, Leerstand, Überfüllung, Gleichgültigkeit und die „Himmelsratten“ – Raubvögel, die vor vielen Jahren angesiedelt wurden, damit sie die Insel von Kadavern säuberten. Dem Verfall erliegen nicht nur schäbige Hütten aus Lehm und Zweigen, sondern auch die prachtvollen Sultanspaläste, die alten Residenzen der arabischen Reichen (wenn sie nicht von heute noch regierenden Familien übernommen wurden), Tempel, Badehäuser, Leuchttürme, die Wohnblocks der Ingenieure aus der sozialistischen Betonzivilisation und Gräber, sogar steinerne.

Die beständigsten Häuser auf Sansibar schienen bis vor Kurzem die Panzer der Meeresschildkröten zu sein, sofern sie nicht zu Kämmen verarbeitet worden waren. Seit einiger Zeit entstehen hier jedoch robuste und saubere Gebäude mit fleißigen Bediensteten und Hausmeistern, Schutzmauern und großen Einfahrten. Im Gegensatz zu den verwahrlosten Sultansgemächern, den von Arabern und Briten hinterlassenen Häusern und den DDR-Plattenbauten sind sie mit komfortablen glänzenden Geräten ausgestattet, die sogar bei Stromausfall weiter funktionieren.

Die Fenster dieser Festungen – Hotels für ausländische Touristen – gehen auf den Strand hinaus, und nicht einmal Sultan Said hatte einen besseren Ausblick von seinen Terrassen. Die einheimischen Bewohner von Sansibar, oftmals die Nachfahren von Sklaven, geraubten Menschen, sagen, heute rauben die Fremden ihnen den Ozean.

Sansibar wurde und wird von den unterschiedlichsten und schillerndsten Gestalten bevölkert. Die einen tragen Schmuck und Juwelen aus Scheherazades Märchen, die anderen Tropenhelme und Schnürstiefel, wieder andere sind nackt und in der Sklavengabel oder nackt und mit Speer, noch einmal andere haben Bibel und Priesterkragen, weiße Kolonialuniformen, Dschallabijas, erbeutete Militäruniformen samt Knüppel und Machete, Maohemden, Anzüge und schwarze blankgeputzte Schuhe, Schnauzen und Flügel wie Fledermäuse, kunstvoll drapierte Baumwollgewänder in verrückten Farben, T-Shirts und kurze Hosen, Neoprenanzüge zum Tauchen. Sie fügen der sansibarischen Geschichte ihre eigenen Episoden hinzu. Viele von ihnen haben eines gemeinsam in ihrem Lebenslauf: Sie haben keine feste Heimat. Sie sind Weltenbummler, freiwillig oder unfreiwillig.

Mit Hilfe dieser Augenzeugen und Beteiligten will ich versuchen, die Geschichte Sansibars der vergangenen etwa hundertsiebzig Jahre zu erzählen; das ist das Alter einer hochbetagten Riesenschildkröte.

(S. 9-10)

Chalids Haus. Stone Town, Sansibar.
Die Insel St. Helena, Britisches Überseegebiet

Die Briten informieren Chalid, er leiste offenen Widerstand gegen die britische Majestät, wenn er die Sultansherrschaft auf Sansibar an sich reiße, ohne die Protektoratsmacht zu Rate zu ziehen. Chalid antwortet, er werde die Europäer nicht angreifen und den Palast nicht verlassen, der sein Haus und das Haus seines Vaters sei. Er sucht den Beistand der Amerikaner, Deutschen und Franzosen, aber ohne Erfolg. Weil die Engländer nicht mit sich verhandeln lassen, bittet er die Amerikaner, ein Telegramm an Königin Victoria zu senden: Hamad ibn Thuwaini ist nicht mehr am Leben.

Ich habe den Thron von meinen Vorfahren geerbt. Ich hoffe, dass die freundschaftlichen Beziehungen weiterhin erhalten bleiben. Chalid ibn Barghasch, Sultan. Es kommt keine Antwort, denn die Depesche wird niemals zugestellt. Wir erfahren, dass die Vertretungen der anderen Länder auf Sansibar über eine bessere Verbindung zur Welt verfügen als der Sultanspalast.

Seit Sultan Hamads Tod liegen an Sansibars Küste ein leichter britischer Kreuzer, die Philomel, und ein Kanonenboot namens Thrush (Drossel). Hinzu kommt die Sparrow (Spatz), das Schwesterschiff der Thrush. Die Matrosen der britischen Schiffe nehmen Maschinengewehre und mindestens ein Feldgeschütz mit und umstellen rasch das britische Konsulat – das triste Bauwerk Mambo Msiige.

Chalid ibn Barghasch, Sultan

Im Laufe weniger Stunden treffen wegen des Alarms der Briten noch der etwas größere Kreuzer Racoon (Waschbär) und das große Flaggschiff George ein. Alle britischen Schiffe haben zusammen achtundsiebzig große und sieben kleinere Geschütze sowie Maschinengewehre. Die Sparrow und die Thrush liegen genau gegenüber dem Sultanspalast neben dem Haus der Wunder.

Chalid verfügt über eine Palastgarde, eine kleine, dem Sultan unterstellte Armee (denn seit einiger Zeit unterstehen die sansibarischen Hauptstreitkräfte dem Kommando der Engländer) und freiwillige Unterstützer. Insgesamt sind das 2800 Mann im bewachten Palast, dem Haremsgebäude daneben und dem umliegenden Gelände. Schlechter sieht es bei den Seestreitkräften aus. Sie kündeten einmal von der Macht Großvater Saids, doch inzwischen haben die Engländer die Rolle des Meereswächters übernommen – unter dem Schlagwort des Kampfs gegen den Sklavenhandel.

Der Sultan besitzt keine kampfgeeigneten Daus mehr, sie sind verkauft oder zu Handelszwecken umgewidmet worden. Im Grunde genommen hat er nur ein einziges Kriegsschiff, wenn man das Holzbötchen überhaupt so nennen kann, das die Funktion des Sultan’schen Flaggschiffs innehat – es ist mit einer Handvoll Vorderladerkanonen ausgestattet und trägt wie zur Ironie den Namen Glasgow, von der Werft, in der es gebaut wurde. Die Besatzung der Glasgow ist Chalid jedoch treu und feuert ihm zu Ehren Salut aus ihren alten Geschützen.

Das Regierungsheer, das kraft eines Vertrags zwischen dem Sultan und der Protektoratsmacht vom britischen General Lloyd Matthews befehligt wird, zählt 900 Mann. Der General ist überzeugt, dass sie seine Befehle ausführen und demnach auf Seiten des Protektorats stehen werden, denn unabhängig von ihren Ansichten sind sie professionell geschult und diszipliniert.
Das britische Ultimatum setzt den Zeitpunkt, an dem Chalid sich ergeben soll, auf den 27. August, neun Uhr morgens, an.

Der Krieg endet nach siebenunddreißig Minuten

In der Nacht, die angeblich totenstill und von Spannung erfüllt ist, als halte die Stadt den Atem an, verlässt Chalid den bewachten Bereich beim Palast und geht zur Moschee in der Stadt, um für den Sieg zu beten. So stellt er demonstrativ Selbstsicherheit, Frömmigkeit, Mut zur Schau. Am Morgen versucht er noch, durch das amerikanische Konsulat den Kontakt zu London herzustellen. Der Repräsentant der Vertretung antwortet, da Chalid nicht von der Protektoratsmacht anerkannt worden sei, könne auch er ihn nicht anerkennen.

Kurz vor neun kehren die Zuschauer auf das Dach des Englischen Klubs zurück. Zwei Minuten nach neun beginnt der Krieg. Als Erste feuern die Briten aus ihren Geschützen. Die Glasgow antwortet. Das Laden ihrer Geschütze geht langsam vonstatten und das Sultansschiff beginnt zu sinken, wobei es noch unermüdlich versucht, zurückzuschießen. Um halb zehn verstummt es endgültig.

Die britischen Schiffe feuern auf Palast und Harem, und nur wenige Minuten nach Beginn der Kanonade fliegen so viele Splitter und Sprengstücke durch die Luft, dass die Zuschauer das Dach des Englischen Klubs lieber verlassen.

Übrigens hüllt auch der Rauch die dramatische Szene ein. Es durchdringen ihn nur die Feuerzungen, die den Harem verschlingen. Und wenn der Wind für einen Moment den Rauch verweht, sieht man, dass die rote Fahne des Sultans zusammen mit einem Teil des Mastes weggeschossen worden ist.

Der Krieg endet nach siebenunddreißig Minuten und findet nach Jahren als kürzester Krieg der Welt Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde. In Palast und Umgebung blieben ein halbes Tausend Tote und Verwundete zurück. Die Engländer verloren niemanden.

(S. 134-137)

Aus dem Polnischen von Lisa Palmes

©Wydawnictwo Znak

Am Freitag, den 9. Mai um 19.00 Uhr begrüßen Marcin Piekoszewski und Lisa Palmes die Autorin Malgorzata Szejnert im Buchbund.


            

Malgorzata Szejnert:
"Dom zólwia. Zanzibar"
[Das Haus der Schildkröte. Sansibar]
Wydawnictwo Znak, Krakau 2011
ISBN 978-83-240-1819-2


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