Ukraine

Trainieren für den Guerillakrieg

Jeden morgen ab neun Uhr liegt Maxim Petrenko auf dem Schießplatz im Gras. Aufmerksam visiert er die Pappfigur auf dem fernen Hügel an, drückt die Kalaschnikow fest an die Schulter und zieht den Abzug. Der 20 Jahre alte Student meldete sich im März freiwillig bei der Nationalgarde.

Die Truppe soll gegen die Separatisten in der Ostukraine kämpfen und im Kriegsfall die Armee unterstützen. „Die Kalaschnikow ist die erste Waffe, an der wir trainieren“, erzählt Maxim später. Bevor das Zielschießen startet, lernen die Rekruten, die Waffe zu zerlegen und das Gehäuse zu putzen.

Maxim, der aus der Stadt Winnitsa kommt und in Kiew Elektrotechnik studiert, gehört zum ersten Ausbildungsgang der Nationalgarde. Rund 500 Rekruten trainieren in der Kaserne in Novi Petrivzi nahe Kiew.

Auf dem Übungsplatz hangeln sich Soldaten an Gerüsten entlang, Schwingen auf Seilen über Hindernisse hinweg und kriechen, die Kalaschnikow auf dem Rücken, unter Stacheldraht durch. Fünfzehn Tage dauert der Drill, dann wird Maxim an einen anderen Ort verlegt.

„Frauen sind motivierter und schießen genauer.“

Der Nationale Verteidigungsrat der Ukraine und das Parlament stellten die Nationalgarde am 11. März auf, nachdem die Krimkrise ausgebrochen war. Über vierzigtausend Freiwillige meldeten sich seitdem bei der Truppe, die dem Innenministerium unterstellt ist.

Auch viele Frauen würden in die Nationalgarde drängen, berichtet Ausbilder Ewgeni Rozhenjuk, und den einzelnen Kommandos anhand ihrer Vorbildung zugeteilt. „Ausgebildete Krankenschwestern arbeiten im Sanitätsstab, gute Köchinnen in der Verpflegung“, sagt Roschenjuk. Im Training schnitten manche Frauen besser ab als Männer. „Sie sind motivierter und schießen genauer.“

Laut Parlamentsbeschluss soll die Nationalgarde das Land vor „Kriminellen und ausländischen Aggressoren“ schützen, die Grenztruppen verstärken oder bei inneren Unruhen Gaspipelines bewachen. Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, plant das Innenministerium, würden Gardisten im Hinterland operieren und wie Partisanen Widerstand leisten.

Rekrut Maxim deutet auf Hubschrauber-Attrappen und Hausfassaden, die auf dem Übungsplatz im Sand stehen. An den Kulissen würden die Rekruten zu Scharfschützen ausgebildet, erzählt der junge Mann mit dem grünen T-Shirt und den Springerstiefeln.

Auch der Umgang mit Panzerfäusten und Granatwerfern stehe auf dem Lehrplan. „Wir üben mit Luftabwehrraketen und Anti-Panzergeschossen vom Kaliber 30 mm“, sagt Maxim.

„Das sind wir schon vom Maidan gewohnt“

Während der Ausbildung übernachten die Gardisten auf dem freien Feld und rüsten sich für den Überlebenskampf in der Natur. Maxim übernachtet mit 15 anderen Freiwilligen in einem 20 Quadratmeter großen Leinenzelt am Waldrand. Zwanzig Mann seien nötig gewesen, erzählt er, um Pfähle in die Erde zu rammen und das Zelt mit Seilen festzuspannen.

In dem Unterschlupf stehen Feldbetten, Töpfe und ein Gaskocher. Zu essen gibt es Hirsebrei, Buchweizen und das ukrainische Gericht Wareniki. „Das sind wir schon vom Maidan gewohnt“, sagt Maxim.

Wie Maxim haben die meisten Gardisten im Winter auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew gekämpft. Nach der Revolution wollten viele Maidan-Veteranen nicht einfach nach Hause gehen und meldeten sich deshalb bei den Truppen des Innenministeriums.

„Wir sind Freiheitskämpfer, uns kann man nicht zähmen.“

Auch Polizisten der aufgelösten Spezialeinheit Berkut finden bei den Paramilitärs Unterschlupf, ebenso einige Rechtsradikale. Das Ministerium wolle Neonazis jedoch aussieben und dulde kein rechtes Gedankengut, teilt die Behörde mit.

Auf dem Exerzierplatz neben den Barracken wartet der 54 Jahre alte Senovij aus der Region Stryj in der Westukraine auf seine Vereidigung. Er trägt einen grauen Tarnanzug, ein rotes Barett und mehrere Medaillen an der Brust.

Womöglich wird der Mann mit den grauen Haaren und den dicken Augenbrauen bald in die Ostukraine versetzt, wo die Gardisten die prorussischen Milizen bekämpfen sollen. „Ich habe mich bei der Garde gemeldet“, sagt der Maidan-Aktivist, „weil ich nicht will, dass unser Land auseinanderbricht.“

Die Ausbildung sei nicht so hart wie in der Armee, fügt Senovij hinzu. „Schließlich sind wir sind Freiheitskämpfer, uns kann man nicht zähmen.“


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