Die neuen polnischen Plakatkünstler
Dass Danton am Ende seines Lebens aufs Treppchen musste, hat auch Jerzy Skakun und Joanna Gorska nach oben gebracht. Im Gegensatz zu dem französischen Revolutionär durften die beiden Grafikdesigner allerdings die Stufen zum Siegerpodest hinaufklettern. Im Jahr 2008 bekamen sie bei einem großen Plakatwettbewerb in Mexiko die Goldmedaille für ihr Theaterplakat einer Inszenierung von Die Sache Dantons. Es war ihr internationaler Durchbruch.
Lange war es ziemlich still um die Kunst des Plakate-Entwerfens in Polen. Eine Meisterschaft, die dem Land einst jahrzehntelang weltweite Aufmerksamkeit bescherte und deren größten Werke gar das Museum of Modern Arts kaufte.
Doch es tut sich etwas. „Seit ein paar Jahren geht es aufwärts“, freut sich Mariusz Bednarski, Betreiber einer Galerie für polnische Plakatkunst in Berlin. Er spricht fast menschlich von seinen Ausstellungsobjekten und sagt: „Die Plakate haben sich erholt“. Viele Kulturinstitutionen, aber auch Unternehmen in Polen vergeben wieder zunehmend Aufträge für Poster.
Eine Tradition kehrt zurück
Zu der Erholung haben Jerzy Skakun (40) und Joanna Gorska (37) viel beigetragen. Das Warschauer Ehepaar sind die Stars der jungen Plakatkunstszene in Polen. Sie räumen weltweit auf Wettbewerben Medaillen ab und sitzen mittlerweile selbst in Jurys.
Für ein Casablanca-Plakat schmückten sie einen Hut mit der Silhouette der marokkanischen Hafenstadt, für Vom Winde verweht ließen sie auf dem Papier kleine Herzen durch einen Ventilator taumeln, für den Tod in Venedig tauschten sie den Gondoliere und sein Ruder gegen einen Mann im Umhang mit Sense aus, der Tod als Steuermann.
Ihre Plakate verkaufen sie weltweit an Liebhaber. Selbst Fans aus dem Iran würden sich bei ihnen melden, erzählt Skakun etwas verwundert: „Ich weiß auch nicht, warum“. Die große Anerkennung ist mehr als die Erfolgsgeschichte zweier Talente: Das Wiederaufleben einer einzigartigen, aber fast untergegangenen Kunstmeisterschaft.
Das Jahr 1948 lieferte den Startschuss. Da räumte Henryk Tomaszewski auf der Internationalen Plakatausstellung in Wien fünf erste Plätze ab. Ein Schock für die Teilnehmer aus dem Westen. Mit einem Künstler aus Polen hatten sie nicht gerechnet. Für das vom Krieg gezeichnete und von den Sowjets überrannte Land war es aber ein erstes vorsichtiges Öffnen des Eisernen Vorhangs durch Kunst.
Bis zur Wende von 1989 kamen von nun an einige der besten Plakatkünstler der Welt aus Polen. Manche sagen: Die besten überhaupt. Henryk Tomaszewski, Jan Lenica, Wladimir Gorka. Sie lieferten fast im Wochenrhythmus neue Arbeiten für den staatlichen Filmvertrieb und ihre Werke bekamen schnell ein eigenes Label: Polnische Plakatkunstschule.
„Für uns sind Plakate Kommunikationsmittel“
Ihr Stil erregte international Aufsehen, weil er so völlig anders war als das, was man kannte. Intellektuell anspruchsvoll und zutiefst menschlich zugleich. Da malte Lenica für das Poster eines polnischen Films einen Mann, der fast nur aus schreienden Mündern besteht. Für Cabaret zeigte Gorka eine Swastika aus Strapsen, für Citizen Kane gestaltete Grzegorz Marszalek das Poster wie das Titelblatt eines Nachrichtenmagazins.
Die Arbeiten sind mal grell, mal minimalistisch, melancholisch, humorvoll, naiv oder brutal. Die Meister des polnischen Plakats unterscheiden sich stilistisch, haben jedoch eine wichtige Gemeinsamkeit: Ihre Werke sind mehr als hübsche Aufbereitungen von Information. Sie haben eine größere Aufgabe. „Für uns sind Plakate Kommunikationsmittel“, sagt Skakun.
Metaphorische Plakate regen zum Nachdenken an
Der Wettbewerbsbeitrag von Skakun und Gorska in Mexiko verdeutlicht diese Aussage: Ihre Arbeit zeigt den rasierten Kopf eines Mannes von hinten. In Höhe seines Halses durchziehen gestampfte Löcher das Papier. Hübsch anzuschauen. Dann sollte das Denken einsetzen.
Danton, was weiß ich nochmal über ihn? Frankreich, Revolution, Hinrichtung. Danton wurde geköpft. Die Löcher symbolisieren das Fallbeil. Weil Skakun und Gorska den Betrachter mit dieser Information nicht so einfach ziehen lassen wollten, forderten sie die Jury zu einer Entscheidung heraus.
War die Hinrichtung richtig? Oder nicht? Wer Dantons Kopf rollen sehen wollte, blieb auf der einen Seite des Plakates stehen, wer nicht, wechselte auf die andere Seite. Die Eintrittskarten ins Theater sollten vom Kartenabreißer in Höhe von Dantons Hals geknickt werden.
Für die polnische Plakatkunst ist es die Fortsetzung ihrer Tradition, denn Plakate sollten schon zu kommunistischen Zeiten mehr sein als reine Information. Anders als in den übrigen Kunstsparten hatten die Plakatmacher alle künstlerischen Freiheiten, solange sie politisch nicht aneckten - und das nutzen sie gerne aus. Die Künstler verstanden ihre Werke als intellektuelle Herausforderung, die den Betrachter zum Nachdenken anregen sollten. Und so verstehen es die jungen Designer auch heute noch. Auf der Arbeit mit Metaphern beruht der Erfolg ihrer Kunst in Polen.
„Man muss das Alte kennen, um etwas Neues zu schaffen“
„Metaphern sind nicht nur eine Art des Zeichnens, sie sind eine Art des Denkens, sie sind überall im Leben“, erklärt Sebastian Kubica (38). Auch er gehört zu den neuen Jungen, doch anders als Skakun/Gorska, die mit Fotografie und Grafik-Software arbeiten, greift Kubica gerne zu Stift und Farbe. „Ich fange immer damit an, die Entwürfe zu malen“.
Kubica ist einer, der gern zurückblickt. In einem kleinen Zimmer unterm Dach hat er eine riesige Postersammlung. Er zieht die Werke aus seinem Schrank als hole er Goldschmuck aus einem Tresor. Tomaszewski, Mlodozeniec, Lenica. Er hat sie alle studiert „Das sind meine Meister“, sagt Kubica.
„Man muss das Alte kennen, um Neues zu schaffen“, er sagt das nicht nur so, er versteht es auch als Mahnung. Kubica unterrichtet Kunst an der schlesischen Universität Kattowitz, und wenn er seine jungen Studenten reden hört, kann er oft nur mit dem Kopf schütteln.
„Es gibt einen Konflikt heute,“ erklärt er. „Viele der ganz jungen Leute wollen nichts mehr von den alten Meistern wissen.“ Er kann das nicht nachvollziehen. „Sie sind zu schlecht ausgebildet. Sie wissen einfach nichts mehr von der Vergangenheit; dass es früher mal anders war“.
Plakate, die statt zum Konsum zum Denken verführen
Früher, vor der Wende 1989. Wer damals durch die Straßen ging, sah Grau oder Poster. „Sie waren das einzige Bunte“, erinnert sich Bednarski, der Berliner Galerist. Heute kennen fast nur noch Kunstinteressierte den Schatz des Landes.
Nach der Wende wurde die staatliche Vetriebsbehörde für Filme binnen kurzer Zeit aufgelöst. Viele Theater und andere kulturelle Einrichtungen wurden ebenso geschlossen. Es gab kaum noch jemanden, der neue Plakate in Auftrag geben konnte. Stattdessen fielen Hollywood-Vertriebe mit ausgefeilten Marketing-Strategien im Gepäck in Polen ein. Von nun an hingen auch in Warschau, Krakau und in der polnischen Provinz die schnell entworfenen und billig gedruckten Poster an den Mauern, die den Betrachter nicht zum Denken sondern zum Bezahlen eines Kinotickets verführen sollen.
Ein Dorn im Auge für die, die in einem Poster mehr sehen als die Ankündigung eines Ereignisses. „Julia Roberts hat vielleicht ein hübsches Gesicht, aber sie bringt niemanden zum Nachdenken“, ärgert sich Skakun.
Seit die Werbeflächen in den vergangenen Jahren wieder etwas billiger geworden sind, die Druckkosten sanken und sich einige private Filmverleiher, Theater und andere Kultureinrichtungen mit den neuen wirtschaftlichen Nach-Wende-Verhältnissen arrangiert haben, kommen Plakatkünstler wieder vermehrt an Aufträge. Doch für viele ist ihr Job heute eine permanente Gratwanderung: Wie viel bin ich bereit, von meinen künstlerischen Ideen aufzugeben, um einem kommerziellen Anbieter gerecht zu werden?
Eine Phantasiewelt aus düsterer Erotik und alchimistischer Experimentierfreude
Die Grafikdesignerin Kaja Renkas will sich diese Frage nicht stellen müssen. In der Altstadt von Kattowitz, einer einstigen südpolnischen Industriemetropole, hat sich die 35-Jährige kürzlich ein kleines Atelier eingerichtet. Sie hat dort ein eigenes Siebdruckgerät aufgestellt, mit dem sie ihre Poster selbst vervielfacht.
Anstatt sich dem Druck des Marktes zu beugen und Werbeplakate entwerfen zu müssen, nimmt sie fast nur noch Aufträge von Galerien oder Kulturinstitutionen an. „Die privaten Firmen interessieren sich nicht für Schönheit, sie wollen keine tiefgehenden Inhalte, sie wollen nur ihre Produkte auf möglichst einfache Weise bewerben“, sagt sie nüchtern.
Fürs Geldverdienen unterrichtet sie Kunst an der Universität von Kattowitz, zum Vergnügen zeichnet sie in ihrer freien Zeit Plakate und sucht Abnehmer, die Wert auf künstlerischen Inhalt legen. „Ich sehe mich als Künstlerin“, sagt sie. “Ich versuche für Kunden zu arbeiten, die meine Kunst kennen und erwarten, dass ich gute Arbeit abliefere und die sich gleichzeitig nicht sonderlich einmischen“.
Die Betrachter ihrer Werke nimmt sie mit in eine Phantasiewelt aus düsterer Erotik, alchimistischer Experimentierfreude, Maschinenbauelementen und der Kreuzung von Tier- mit Menschenkörpern. Für eine Galerie in Breslau entwarf Renkas ein Poster für Tom Tykwers Parfüm. Sie malte ein junges Mädchen, eingezwängt in eine Apparatur aus Rohren, die seinen Duft entziehen und in Blumenblüten verwandeln. „Ich sehe meine Poster in der Tradition der Polnischen Plakatkunstschule“, sagt Renkas. „Aber selbstverständlich kann ich meine Werke nicht mit denen der großen Meister vergleichen“.